Klarer geht es nicht

Die ZEIT hat im Jahre 2001 ein Streitgespräch veröffenntlicht, welches das Dilemma der postmodernen Ethikstreitereien bezüglich Abtreibung, Genforschung, Stammzellenforscung etc. auf den Gipfel treibt. Im folgenden Auszug ist Christian Judith der von Geburt an Körperbehinderte (etwas mehr zu ihm hier), Gisela Steinert leidet am Morbus Parkinson und hofft auf die Gentechnik (ihre Homepage hier).

ZEIT: Das ist ein entscheidender Punkt: Wer entscheidet über wen? Würden Sie zum Beispiel Frau Steinert einen Gentest verbieten wollen?

JUDITH: Wenn ihre Entscheidung auf mein Leben keinen Einfluss hätte, wäre die Antwort einfach. Doch die individuelle Entscheidung erzeugt gesellschaftlichen Druck. Und der wirkt auf mich zurück. Ich kann und will keiner Frau diese Entscheidung verbieten - aber ich kann versuchen, sie mit den Folgen zu konfrontieren. Stell dir mal vor, die Ärzte hätten meiner Mutter vor meiner Geburt die Frage gestellt: Wollen Sie wirklich ein Kind, das nicht laufen kann, mit dem Sie soundso oft zum Krankenhaus fahren müssen und so weiter … Und sie hätte damals gesagt: Nein, das will ich nicht. Das würde bedeuten, ich wäre nicht hier.

STEINERT: Ja.

JUDITH: Da sagst du einfach so fröhlich ja.

STEINERT: Ja. Du wüsstest doch nichts davon.

JUDITH: Hast du das bedacht? Du redest gerade mit mir als jemandem, der potenziell, weil er nicht laufen kann, zur Disposition steht.

STEINERT: Wenn du nicht da wärst, hättest du auch kein Empfinden davon, du wüsstest nichts von deiner Existenz. Ist ein Kind erst einmal auf der Welt - behindert oder nicht -, wird es meistens geliebt. Aber wenn ich als Mutter über ein zukünftiges Wesen entscheiden soll, das ich nie gesehen habe, dann ist das etwas anderes.

JUDITH: Aber das Verrückte an dieser Situation ist doch, dass ich mir heute anhören muss, dass man jemanden wie mich vielleicht besser nicht auf die Welt gebracht hätte. Das ist doch ein massiver Eingriff in meine Lebensqualität, in meine Menschenwürde. Das heißt, mir klarzumachen, dass ich nicht gewollt bin.

Und das ganz trägt die Kulmination im Titel: Hättest Du mich abgetrieben?





2 Kommentare zu “ Klarer geht es nicht”

  1. Pax et bonum » Ein Schritt weiter - zur Unmenschlichkeit meint:


    Die Webseite von Pax et bonum » Ein Schritt weiter - zur Unmenschlichkeit

    […] Man kann reichlich argumentieren, doch ich habe nie bessere Argumente gefunden als in dem Gespräch, daß ich schon vor fast sechs Jahren hier auszugsweise veröffentlichte und was sich immer noch im ZEIT-Archiv finden läßt. […]

  2. Pax et bonum » Zur PID meint:


    Die Webseite von Pax et bonum » Zur PID

    […] Ich möchte allen noch einmal einen Artikel der ZEIT ans Herz legen, ein Streitgespräch, was ich schon einmal empfohlen hatte: […]


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