Zurechtgerückt

Wenn es eine innovative Theologie gibt, die sich ihren Ruf so richtig gut vermiest hat, dann sicher die Befreiungstheologie. Die einen meinen hocherfreut, “Rom” hätte sie verurteilt (was nicht stimmt), die anderen halten sie gerade deswegen hoch, weil ein Verbotsschild aus Rom einem Qualitätssiegel gleichkäme. Da es nicht die eine Befreiungstheologie gibt, wurde auch nicht sie in ihrer Gänze verurteilt, ganz im Gegenteil, sondern lediglich die zu marxistischen und säkularen Auslegungen ihrer selbst. Denn sie ist Theologie bester Schule und im strengen Sinn des Wortes. Wie sehr das auch und gerade heute stimmt, zeigt dieses Buch. Gutiérrez ist Peruaner und der Gründervater der Befreiungstheologie (und hat sich nicht mit der Kirche überworfen), Müller medial derzeit recht heftig angegriffener Bischof von Regensburg und Freund von Gutiérrez; er kennt die Situation der Armen dort vor Ort aus jahrelanger Anschauung selbst (wer selbst einmal erlebt hat, was materielle nackte Armut wirklich heißt - d.h. sie auch nur ansatzweise selbst gespürt hat - der muß gleichsam zum Befreiungstheologe werden).

Dabei sind beide Sichtweisen wichtig, die des Betroffenen vor Ort und die aus der europ. Distanz (wobei es auch hierzulande Arbeit zuhauf gibt diesbezüglich). Bischof Gerhard Ludwig Müller zeigt in einem Essay (”Befreiungstheologie im Meinungsstreit”) sehr gut und auf hohem Niveau, u.a. warum die Befreiungstheologie hier nie richtig Fuß fassen konnte - zum Großteil liegt es an der Nomenklatur (Klassenkampf, Sozialismus etc.), die in Lateinamerika eine doch ganz andere Konnotation hat als bei uns an der ehemaligen Grenze des Kalten Krieges. Er zeigt aber auch die Bedeutung für die Welt auf, denn diese Art von Theologie ist keine spezifische Lateinamerikas (ich las mal woanders den Satz “bei 40 °C im Schatten ändert sich die Theologie”…).
Gustavo Gutiérrez OP (seit vergleichsweise kurzer Zeit bei den Dominikanern) erläutert in “Wo werden die Armen schlafen?” (¿Dónde dormirán los pobres?) das grundlegende Anliegen der Befreiungstheologie (in Kürze: wie erkläre ich einem Armen, dem es am Allernotwendigsten fehlt, daß Gott ihn liebt?)- natürlich sind alle anderen Beiträge der beiden auch sehr lesenswert.

Also, wer jenseits von Streit und Pamphlet eine anspruchsvolle Würdigung dieser für die Kirche eminent wichtigen Theologie erfahren möchte, dem sei dies hiermit empfohlen.





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