Wort-Beschneidung

Dies Domini.

Wann hat jemand das letzte Mal in einer normalen Pfarrgemeinde in der Osternacht alle neun Lesungen hören dürfen? Gerade die Osternacht ist ja die Quelle aller weiteren Liturgie, aus ihr speist sich das gesamte Kirchenjahr. Und werden die Lesungen wirklich gebracht, wird auch vielen der Zusammenhang klar, die Göttliche Zäsur der Auferstehung, das alles umstürzende Neue.

Doch so etwas ist dem Volk Gottes wohl nicht zuzumuten.

Es ist dem Volk Gottes einer Pfarrei ja anscheinend schon nicht zuzumuten, daß an einem normalen Sonntag alls drei Lesungen gehört werden (AT, Apostel-Brief und Evangelium). In den allermeisten Fällen werden die “schwierigen” Texte weggelassen, zumeist der des AT. Aus angeblich “pastoralen Gründen” (hier: unterstellte Unmündigkeit der Gläubigen) wird eine Frucht des Konzils, eine größere Wertschätzung der Heiligen Schrift als ganze, zunichte gemacht.

Daß dieses Verkürzen der Lesungen laut offiziellen Maßgaben nur in “pastoralen Notfällen” erlaubt ist, wirft noch ein erschreckenderes Licht auf diesen Sprachraum: entweder sind hiesige Entscheidungsträger der Meinung, es mal wieder besser als viele andere Länder zu wissen oder wir sind seit Jahrzehnten in einem Dauer-Notstandsgebiet der religiösen Reife.

Es trifft in unterschiedlicher Gewichtung wohl beides zu, nur: was ist Henne, was ist Ei?





5 Kommentare zu “ Wort-Beschneidung”

  1. mr94 meint:


    Die Webseite von mr94

    Alle neun Lesungen in der Osternacht - noch nie. Das Maximum bislang waren vier AT-Lesungen, die Epistel und das Evangelium. In diesem Jahr hatten wir nur drei AT-Lesungen (Genesis 1, Exodus und Ezechiel).

    Gerade in der Osternacht verstehe ich das am allerwenigsten. Wer hat in dieser Nacht schon noch was anderes vor?

    Man sollte die Osternachtsfeier einfach zu Mitternacht ansetzen und vorher gleich alle neun Lesungen ankündigen. Dann dauert die Liturgie etwa drei Stunden - ist doch perfekt.

  2. Georg meint:


    Die Webseite von Georg

    Ich gehe bewußt nur in Osternachtsfeiern in denen nichts gekürzt wird; man muss nicht gleich in den ostkirchlichen Maximalismus verfallen, aber der Reduktionismus wie er nicht erst postkonziliar in unsere ohnehin auf das wesentliche konzentrierte- und gerade dadurch so schöne- röm. Liturgie Einzug gehalten hat, ist tatsächlich eine beschämende Erscheinung und zeugt mehr von der Bequemlichkeit der zelebrierenden Priester als von pastoraler Klugheit.

  3. mr94 meint:


    Die Webseite von mr94

    Für mich gilt hier das diasporatypische “mitgefangen - mitgehangen”. Wenn meine Gemeinde die Osternacht feiert, dann braucht es schon einen guten Grund, dort zu fehlen. Ich versuche, das Meine beizutragen.

    Wie lassen sich wieder alle Lesungen einführen? Ich denke, Schritt für Schritt. Einfach jedes Jahr eine Lesung mehr vortragen, bis sie schließlich komplett sind.

  4. Reto meint:


    Die Webseite von Reto

    Ja - alle Neune! Dieses Jahr. Inklusive Psalmengesang und Kehrversen in voller Länge.
    Nein - keine normale Pfarrei - Österreichisches Hospiz in Jerusalem mit Pilgergruppe

    Erstaunlich: Meine beiden Kinder (11&13) waren begeistert. Sie waren schon recht schläfrig als nach über einer Stunde die Orgel losdröhnte und das Licht anging. Es war für sie ein ungewohntes Erlebnis. Sie fragten, warum dies nicht auch zuhause möglich sei. Bei uns gibt es in der Regel das Minimalprogramm - regelkonform, aber “pastoral verträglich”.

    Vielleicht sollte man wirklich mal mehr wagen? Meinen beiden Kindern habe ich soviel Begeisterung auch nicht zugetraut. Wer nichts wagt, gewinnt nichts.

  5. scipio meint:


    Die Webseite von scipio

    Neun noch nie. Weder in meiner Heimatpfarrei noch in der Kirche, in der wir dieses Jahr waren. Das volle Programm dürfte in unserer gutkatholischen Gegend völlig unüblich sein.

    Aber immerhin die unerlässlichen Lesungen: Exodus natürlich, aber auch Genesis und die Epistel…

    Tja.


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