Leseratten

Unterhalb von “Katholisches” findet der geneigte Leser jetzt eine neue Rubrik der theologischen Leseräume, noch im Aufbau begriffen (bin für Links dankbar). Aus St. Georgen kann ich u.a. die Aufsätze des Jesuiten (SJ steht ja für die Schlauen Jungs) Dieter Böhler empfehlen: es ist heutzutage selten genug, daß ein Exeget, also Bibelexperte, vatikanische Verlautbarungen (siehe seine Besprechung von der Vorschrift aus Rom namens Liturgiam authenticam) so entspannt mit einer Grundsympathie sieht und schlüssig erklärt.

In einem anderen Text geht er das seit langem bestehende Thema der Begrenztheit einer jeden Form von Bibelauslegung an (Auszug):

Als Paulus dem Philemon sein kleines Brieflein schrieb wegen des Sklaven Onesimus, wollte er nur gerade dem Philemon und nur in dieser Angelegenheit schreiben, sonst nichts. Daß heute im 21. Jahrhundert ein Christ in Germanien den gar nicht an ihn gerichteten Brief immer noch liest, bzw. in der Liturgie vorgelesen bekommt, geht weit über die Autorenintention des Paulus hinaus. Es ist die rezipierende Kirche, die eine Paulusbriefsammlung herstellt für den Gottesdienst, die das Brieflein zum Teil einer kanonischen Sammlung von Zeugnissen über den Gott Israels und Jesu Christi macht. Als Micha im 8. Jh. v. C. in Judäa gegen die dortigen Landenteigner polemisierte, wollte er nur im 8. Jh. gegen judäische Landenteigner polemisieren. Daß wir Christen des 21. Jh. in Deutschland die alten Orakel Michas noch immer lesen, geht weit über die damalige Autorenintention des Propheten hinaus. Daß wir das immer noch lesen, liegt daran, daß Israel die Orakel des Micha redaktionell zum Michabuch als einem Gotteszeugnis ausgebaut hat und dieses Michabuch in die Sammlung seiner kanonischen Schriften aufnahm. Der Sinn eines kanonisch gewordenen Textes hängt nicht am damaligen Autor und seinen Intentionen von damals allein. Nur danach aber fragte historisch-kritische Exegese. Der Sinn eines kanonischen Textes liegt auch in der Beziehung zur rezipierenden Glaubensgemeinschaft. Sie hat den damaligen Text neu adressiert und etwa an uns hier und heute gerichtet, was Micha nie vorhatte. Der Sinn eines kanonischen Textes liegt außerdem wesentlich in seiner Beziehung zu dem großen literarischen Gefüge des Kanons, in den die Rezeptionsgemeinschaft ihn eingefügt hat, um ihn über die damalige Situation hinaus aktuell zu halten.

Viel Spaß beim Stöbern!





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