Angesichts der aktuellen Debatte um die Würde des Menschen im Sozialstaat (denn die wird ja laut Bundesverfassungsgericht bislang verletzt, auch wenn abweichende Meinungen von der Meinunsgfreiheit gedeckt sind) möchte ich mal ein Zitat bringen. Es ist etwas verschnörkelt, das gebe ich zu, dafür ist es auch nicht mehr das neueste. Aber es immer noch aktuell, leider, mehr denn je hierzulande, befürchte ich.
Wer als Katholik der Meinung ist, das Phänomen der “Aufstocker” (im Englischen die “working poor”) - also die, die trotz Arbeitsstelle noch Geld von Staat brauchen - sei nicht zu beanstanden, schließlich regele ja der Markt die Löhne, muß das Zitat genauer lesen:
Arbeiten heißt, seine Kräfte anstrengen zur Beschaffung der irdischen Bedürfnisse, besonders des notwendigen Lebensunterhaltes “Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen”. Zwei Eigenschaften wohnen demzufolge der Arbeit inne: sie ist persönlich, insofern die betätigte Kraft und Anstrengung persönliches Gut des Arbeitenden ist; und sie ist notwendig, weil sie den Lebensunterhalt einbringen muß und eine strenge natürliche Pflicht die Erhaltung des Daseins gebietet. Wenn man nun die Arbeit lediglich, soweit sie persönlich ist, betrachtet, wird man nicht in Abrede stellen können, daß es im Belieben des Arbeitenden steht, in jeden verringerten Ansatz des Lohnes einzuwilligen; er leistet eben die Arbeit nach persönlichem Entschluß und kann sich auch mit einem geringen Lohne begnügen oder gänzlich auf denselben verzichten. Anders aber stellt sich die Sache dar, wenn man die andere, unzertrennliche Eigenschaft der Arbeit mit in Erwägung zieht, ihre Notwendigkeit. Die Erhaltung des Lebens ist heilige Pflicht eines jeden. Hat demnach jeder ein natürliches Recht, den Lebensunterhalt zu finden, so ist hinwieder der Dürftige hierzu allein auf die Händearbeit notwendig angewiesen.
Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beiderseitig frei geschieht, so bleibt dennoch eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeit bestehen, die nämlich, daß der Lohn nicht etwa so niedrig sei, daß er einem genügsamen, rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhängig von dem freien Willen der Vereinbarenden. Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch.
Damit aber in solchen Fragen wie diejenige der täglichen Arbeitszeit die verschiedenen Arbeitsarten, und diejenige der Schutzmaßregeln gegen körperliche Gefährdung, zumal in Fabriken, die öffentliche Gewalt sich nicht in ungehöriger Weise einmische, so erscheint es in Anbetracht der Verschiedenheit der zeitlichen und örtlichen Umstände durchaus ratsam, jene Fragen vor die Ausschüsse zu bringen, von denen Wir unten näher handeln werden, oder einen andern Weg zur Vertretung der Interessen der Arbeiter einzuschlagen, je nach Erfordernis unter Mitwirkung und Leitung des Staates.
(Hervorhebungen von mir)
Aus der Enzyklika “Rerum Novarum”, Absatz 34, von Papst Leo XIII, aus dem Jahr 1891!