In der neuen Ausgabe der Zeitschrift Communio findet sich ein interessanter Artikel darüber, wie derzeit in den Bibelwissenschaften verschiedene Denk- und Leseschulen mit der Hl. Schrift umgehen. Die seit einigen Jahrzehnten etablierte sogenannte “historisch-kritische Methode” (HKM), die quasi als alleinige Art der wissenschaftlichen Methode gelehrt wurde und immer noch wird (und bei der demnach ihre Anwender auch zunehmend vergaßen, daß sie nur eine wissenschaftliche Methode unter anderen ist), erfährt zunehmend “Konkurrenz” von der sogenannten “kanonischen Exegese”.
Was heißt das?
Nun, wenn man einen Bibeltext auslegen will, geht es der HKM vor allem um die Frage, was der tatsächliche Autor in seinem historischen Kontext ausdrücken wollte. Dabei wird darüber gestritten, wer tatsächlicher Autor ist, wie dessen Kontext war, wie dessen Geisteshaltung war, wie der Kulturraum genau aussah, wer der Adressat des Textes , wieso dieser Text so und nicht anders ist, wie er entstand etc.
Da alle Originale der Bibeltexte verloren gegangen sind und wir nicht wirklich alles en détail wissen können, ist ein Großteil Spekulation. Das ist auch okay so, das gehört zur Wissenschaftlichkeit, gehört aber auch dazu gesagt. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer vorläufig.
Das gilt natürlich auch für die “kanonische Exegese”, wobei der Artikel in der Communio darauf besteht festzustellen, daß es eigentlich Unsinn ist, hier von Konkurrenz zu reden. Jede Methode habe ihren Erkenntniswert, aber eben auch ihre Erkentnnisgrenzen. Der kanonischen Methode geht es vor allem darum festzustellen, welche Bedeutung ein text im zusammenhang der gesamten Bibel hat. Die frühe Kirche muß ja einen Grund gehabt haben, einen konkreten Text in die Schrift aufzunehmen, also zu kanonisieren. Dann geht es noch darum zu sagen, warum bspw. ein Brief an einer bestimmten Stelle in der Bibel steht, welche Querverweise es von einem Buch der Bibel zu einem anderen gibt etc.
Interessanterweise ging auch diese exegetische Bewegung von Protestanten aus, obwohl sie zutiefst kirchlich ist. Denn die Geschichte der Kirche, von der der Bibelkanon ja ein “Teilprodukt” ist, wird hier als wichtiger Bestandteil der exegetischen Erkenntnis aufgefaßt. Die Bibel ist Heilige Schrift, nicht irgendwelche mögliche Vorformen oder spekulativ vermutete Quellen (am bekanntesten hier die von vielen vermutete Quelle Q).
Die HKM betreibt also, wenn man das so vergleichen mag, anatomische Physiologie, also Zerlegen bis ins Kleinste, die kanonische Exegese dagegen einen eher soziologisch Ansatz der Beziehung. Beide sind legitim, aber beide erklären den Menschen nicht hinreichend. Mir persönlich gefällt die zweite besser, da die Geschichte des neuen Volkes Gottes, der Kirche, die ja letztendlich die Bibel zur Bibel machte, eine ihr zukommend wichtige Rolle spielt. Beide aber haben ihre Daseinsberechtigung
Schade nur, daß die kanonische Exegese sich in dieser Professoren-Generation auf den Universitäten in Deutschland nicht etablieren wird, weil die Lernresistenz von was ganz Neuem doch eher ausgeprägt ist (in den USA sieht’s da ganz anders aus - ein Plus der privaten Flexibilität). Der Widerstand gegen die kanonische Exegese rührt daher auch von einem Verlust an Deutungshoheit. Wer hat den schon gern.