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Entwicklungsland

Heute ist ein guter Tag. Zumindest für mich.

Denn heute hat sich wieder mal gezeigt, was ein Mensch alleine erreichen kann:

Dieser Mann, Dr. Norbert Jäger aus Kiel, hat heute vor dem Europäischen Gerichtshof erstritten, dass er und viele Tausende anderer deutscher Assistenzärzte nicht mehr über 12 Stunden am Stück arbeiten müssen. 12 Stunden sind ja noch lachhaft, 30 Stunden sind die Regel bei einem Dienst. Und zwar, wenn’s wirklich hart wird, ununterbrochen. Wer möchte von so einem Chirurgen operiert werden? Doch wer fragt sich schon in der Nacht zum Sonntag um 02.00 Uhr morgens in der Ambulanz, wenn seit fünf Tagen der Daumen weh tut und man es ausgerechnet um die Uhrzeit nicht mehr aushält, wie lang der Arzt oder die Ärztin da schon arbeitet? Nach meinen (mehrjährigen) Erfahrungen: niemand.

Wer Selbsterhaltungstrieb pur (=Egoismus) erleben will, begebe sich in eine Ambulanz eines Krankenhauses.

Man darf sich aber nicht vorstellen, dass dieses Urteil überall auf Gegenliebe stößt. Schon jetzt gibt es Kliniken zuhauf, in denen Überstunden nicht aufgeschrieben werden dürfen. Und die Bereitschaftsdienste machen richtig Geld aus, Geld, mit dem manch ein Arzt seine Hypotheken fürs Haus abbezahlt.

Und wer meint, Herr Jäger wolle sich nur in die Hängematte legen:

“Arzt zu sein ist einer der schönsten Berufe der Welt”, sagt Jaeger, “einen Menschen erfolgreich zu reanimieren, das ist etwas Gigantisches.” Er würde immer wieder Klinikarzt werden wollen: “Auch wenn 40 bis 50 Prozent der Ärzte nicht mehr im Krankenhaus arbeiten wollen und abhauen.”
Der Vater zweier Töchter ist mit einer Ärztin verheiratet. Von 1989 bis 1992 hat der gebürtige Koblenzer im Entwicklungsdienst in Lesotho (Afrika) gearbeitet: “Da waren drei Ärzte für etwa 250 000 Menschen zuständig”, erzählt er, “aber als ich zurückkam, sah ich, dass Deutschland ein Entwicklungsland ist.”
Wenigstens in den Kliniken. “Ich musste klagen”, wiederholt Jaeger, das habe er mit seiner Frau besprochen, die gesagt habe: “Du kannst doch gar nicht anders …”
Jetzt sieht Norbert Jaeger dem Urteil des EuGH in Luxemburg fast demütig entgegen. “Ich werde wohl in eine Kirche gehen und eine Kerze anzünden - was bei der Verhandlung geschieht, bestimmt ein anderer als wir”, sagt der überzeugte Christ, “auch wenn wir verlieren, wäre das kein Drama für mich persönlich.”

Gelobt sei der Herr.

Ich freue mich.

Mal sehen, wann sich jetzt was tut. Erst mal lange nichts, da sind Verwaltungschefs von Kliniken und Politiker schon erprobt drin.





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