Alles “subsistit” oder was?

Schon im Heiligen Jahr 2000 gab es um das Dokument “Dominus Iesus” eine große Aufreung und Debatte im deutschen Sprachraum, damals war natürlich der Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger daran schuld. Er stand der Kongregation ja vor, die das Dokument erarbeitete, Papst Johannes Paul II. hatte es zwar bestätigt, aber der böse Mann war Ratzinger, keine Frage.

Jetzt schon wieder so etwas. Mit dem neuen Dokument zur Frage des lateinischen Wortes “subsistit”, was die genaue Beziehung der Katholischen Kirche zur Einen und Einzigen Kirche Jesu Christi bezeichnet, kam wieder ein Aufruhr ins ökumenische Miteinander, wenn auch nicht ganz so stark wie damals (hier einige Reaktionen). Es war ja von der Position her nichts neues. Übrigens war diesmal nicht der Präfekt William Joseph Kardinal Levada schuld, nein, sondern der Papst selbst - ach, Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. (na, so ein Zufall!).

Da B16 der Meinung ist, zumindest sagen das ihm theologisch wohl nahestehende Menschen, daß er bezüglich der Ökumene über Jahrzehnte hinweg seine Meinung nicht geändert hat, wäre es doch mal interessant zu erfahren, was er jenseits irgendwelcher Ämter in Rom früher gedacht hat - und wohl heutzutage auch noch denkt. Nun ist der Papst entgegen aller Gerüchte kein alleinherrschender Monarch (sondern eben nur der Stellvertreter), aber seine Gedanken von früher (Quelle als doc-Datei aus dem Jahr 1976) haben sicher auch Auswirkungen auf die Kirche von heute:

Es werden zunächst die Maximalforderungen deutlich, an denen die Suche nach Einheit sicher scheitern müsste. Die westliche Maximalforderung an den Osten wäre es, eine Anerkennung für den Primat des römischen Bischofs in dem vollen Umfang zu verlangen, wie er 1870 definiert wurde, und sich damit auch einer Primatspraxis einzuordnen, wie sie von den Unierten angenommen worden ist. Die östliche Maximalforderung wäre es, die Primatslehre von 1870 als völligen Irrtum zu erklären und damit auch alle darauf beruhenden verbindlichen Aussagen aufzulösen, von der Streichung des Filioque im Credo angefangen bis hin zu den marianischen Dogmen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Maximalforderung der katholischen Kirche an den Protestantismus wäre es, die protestantischen kirchlichen Ämter als schlechthin nichtig anzusehen und schlicht die Konversion zum Katholizismus zu verlangen; die Maximalforderung der Protestanten an die katholische Kirche wäre es, durch uneingeschränkte Anerkennung aller ihrer Ämter ihren Amtsbegriff und ihr Verständnis von Kirche zu übernehmen und damit sachlich auf die apostolisch-sakramentale Struktur zu verzichten, das heißt umgekehrt also zum Protestantismus zu konvertieren und die Vielgestalt unterschiedlichster Gemeinschaftsbildungen als die geschichtliche Gestalt der Kirche anzunehmen. Während die ersten drei Maximalforderungen heute in der Breite des christlichen Bewusstseins ziemlich einmütig abgelehnt werden, hat die vierte Maximalforderung für dieses Bewusstsein etwas Faszinierendes, sozusagen eine unmittelbare Evidenz gewonnen, die darin die eigentliche Lösung der Aufgaben sehen lässt. Das gilt umso mehr, als sich damit die Erwartung verbindet, ein Kirchenparlament, ein „wirklich ökumenisches Konzil“, könne ja dann diesen Pluralismus zusammenbinden und ihn zu einer christlichen Aktionseinheit hinführen. Dass dabei keine wirkliche Union vorläge, sondern ihre Unmöglichkeit zum einzigen gemeinsamen Dogma erhoben würde, sollte aber dem näher Zusehenden doch zeigen, dass ein solcher Weg nicht Kircheneinheit brächte, sondern den endgültigen Verzicht auf sie.

So bleibt als Fazit, dass keine der Maximallösungen eine wirkliche Hoffnung auf Einheit enthält.

Einige Zeilen später erscheint die seither in Ökumene-Kreisen als Ratzinger-Formel bekannte Sichtweise über die Orthodoxie:

Wer auf dem Boden der katholischen Theologie steht, kann gewiss nicht einfach die Primatslehre als null und nicht erklären, gerade auch dann nicht, wenn er die Einwendungen zu verstehen versucht und offenen Blicks die wechselnden Gewichte des geschichtlich Feststellbaren würdigt. Aber er kann andererseits unmöglich die Primatsgestalt des 19. und 20. Jahrhunderts für die einzig mögliche und allen Christen notwendige ansehen. Die symbolischen Gebärden Pauls VI., zuletzt der Kniefall vor dem Vertreter des Ökumenischen Patriarchen, wollen gerade dies ausdrücken und durch solche Zeichen aus dem Engpass des Gewordenen herausführen. Obgleich uns nicht gegeben ist, die Geschichte stillzustellen, den Weg von Jahrhunderten zurückzunehmen, darf man doch sagen, dass nicht heute christlich unmöglich sein kann, was ein Jahrtausend lang möglich war. Immerhin hat doch im Jahr 1054 Humbert von Silva Candida in derselben Bulle, in der er den Patriarchen Kerularios exkommunizierte und damit das Schisma zwischen Ost und West einleitete, Kaiser und Bürger von Konstantinopel als „sehr christlich und rechtgläubig“ bezeichnet, obgleich deren Vorstellung vom römischen Primat sicher von der des Kerularios weit weniger unterschieden war, als etwa von der des I. Vaticanum . Anders gesagt: Rom muss vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde. Wenn Patriarch Athenagoras am 25. Juli 1967 beim Besuch des Papstes im Phanar diesen als Nachfolger Petri, als den ersten an Ehre unter uns, den Vorsitzer der Liebe, benannte, findet sich im Mund dieses großen Kirchenführers der wesentliche Gehalt der Primatsaussagen des ersten Jahrtausends und mehr muss Rom nicht verlangen. Die Einigung könnte hier auf der Basis geschehen, dass einerseits der Osten darauf verzichtet, die westliche Entwicklung des zweiten Jahrtausends als häretisch zu bekämpfen und die katholische Kirche in der Gestalt als rechtmäßig und rechtgläubig akzeptiert, die sie in dieser Entwicklung gefunden hat, während umgekehrt der Westen die Kirche des Ostens in der Gestalt, die sie sich bewahrt hat, als rechtgläubig und rechtmäßig anerkennt.

Bezüglich des Protestantismus stellt Ratzinger fest, der damals die Einheitshoffung auf eine mögliche katholische Anerkennung der Confessio Augustana (CA) setzte und vielleicht immer noch setzt (die inzwischen erreichte Einigung mit einigen lutherischen Kirchen in der Rechtfertigungslehre ist nur ein kleiner Teil davon):

Freilich wäre eine solche Anerkennung der CA durch die katholische Kirche wieder weit mehr als ein bloß theoretisch-theologischer Akt, der unter Historikern und Kirchenpolitikern ausgehandelt wird. Es würde vielmehr eine konkrete geistliche Entscheidung und insofern ein wirklich neuer geschichtlicher Schritt auf beiden Seiten sein. Er würde bedeuten, dass die katholische Kirche in den hier gegebenen Ansätzen eine eigene Form der Verwirklichung des gemeinsamen Glaubens mit der ihr zukommenden Eigenständigkeit annähme. Er würde umgekehrt von reformatorischer Seite her bedeuten, diesen vielfältiger Auslegung fähigen Text in der Richtung zu leben und zu verstehen, die zuerst ja auch gemeint war: in der Einheit mit dem altkirchlichen Dogma und mit seiner kirchlichen Grundform. Er würde also insgesamt bedeuten, dass die offene Frage nach der Mitte der Reformation in einem geistlichen Entscheid in Richtung einer katholisch gelebten CA gelöst und das Erbe von damals unter dieser Hermeneutik gelebt und angenommen wurde.





2 Kommentare zu “ Alles “subsistit” oder was?”

  1. Friedrich Griess meint:


    Die Webseite von Friedrich Griess

    Es ist mir unbegreiflich, wie diese sehr ausgewogene und differenzierte Betrachtungsweise 37 Jahre später zur plumpen Aussage des Ratzinger-Schülers Schönborn führen kann,”es könne nur eine einzige Kirche geben, da Jesus ‘nicht mehrere Bräute’ habe, und diese sei ‘verwirklicht in’ der katholischen Kirche”, siehe http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/55488.html . Damit ist die Ökumene für immer tot.

  2. Ralf meint:


    Die Webseite von Ralf

    Nein, damit ist die Ökumene nicht tot, damit sagt er bloß das, was das Vaticanum II auch sagt. Er sagt auch das, was die Orthodoxie von sich behauptet (bei den Protestanten kann man nicht von einer Ekklesiologie sprechen), insofern nichts wirklich neues.
    Diese Aussage stellt die Ökumene auf das, was sie braucht: ein vernünftige ehrliche Basis, die die Differenzen nicht ausklammert und keine Schönwetterveranstaltung ist.


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