Gespaltene Grundsätze

Es wird ja oftmals der Kirche vorgeworfen, sie akzeptiere Erkenntnisse der Naturwissenschaft nur sehr widerwillig. Bei der Geisteswissenschaft kann ich die Zurückhaltung prinzipiell verstehen, da es sich ja immer um menschliche und somit potentiell sehr veränderbare und irrige Mehrheitsmeinungen handelt.

Es ist aber nicht die Aufgabe der Kirche, veränderbare Meinugnen zu verkünden.

Daher verstehe ich auch die Zurückhaltung bzgl. biologischer Erkenntnisse. Nicht, weil diese auf Mehrheitsmeinungen beruhen, sondern weil eben das Leben häufig doch nicht so einfach ist wie der aktuelle Wissensstand suggeriert.

Das beste Beispiel dafür ist die Genetik und beliebte betreffende Streitthemen wie die Ursache für Homosexualität. Es wird nach einem “Homo-Gen” geforscht, die einen propagieren das, andere lehnen das ab. Das Endergebnis dagegen ist aber eigentlich vollkommen egal.

Dabei ist die Biologie längst viel weiter als die Massen der Menschen in Industrienationen, die immer noch meinen, “die Gene” würden uns bestimmen (es wird eine schicksalshafte Fremdbestimmung durch Desoxyribonukleinsäuren stillschweigend akzeptiert).
Es sind überhaupt nicht “die Gene”, die bestimmen, genausowenig wie “die Rohstoffe” bestimmen, wie bspw. ein Haus aussieht.

Die Epigenetik - schon seit vielen Jahren bekannt, aber noch nicht medienwirksam ins Hirn der Menschen gebracht - beschreibt die Tatsache, daß die Gene lediglich das Rohmaterial für Möglichkeiten liefern, mehr auch nicht. Welche Gene aktiviert werden (also um im etwas schrägen Bild zu bleiben: ob’s ein Holz- oder Steinhaus wird, wobei klar ist, daß es ein Haus wird) und welche abgeschaltet bleiben, wird durch die Umwelt mitbestimmt. Es ist eben kein Entweder-Gene-oder-Umwelt.

Vielleicht wird die Epigenetik deswegen nicht unters Volk gebracht, weil dann die suggerierte Fremdbestimmung flöten geht und wir doch freier sind, als manch einer uns weismachen will.

Die auf der einen Seite aufgegebene Freiheit wird auf einer anderen Seite dagegen wieder eingefordert, und zwar in der Frage der Ethik. hier gilt, was gefällt, hier herrscht Utilitarismus. Die Kirche muß diese Ethik ablehnen, weil es sich dabei nicht zuletzt um eine Philosophie der Macht handelt, da es primär um Wahrung von Interessen geht und die je nach Potenz eben gegen die Wahrung anderer durchgesetzt werden können. Das Allgemein Gute und Böse gibt es nicht mehr, es gibt nur noch meine und Deine Interessen und einer gewinnt, wenn sie kollidieren.

Somit herrscht eine Spaltung der Gemeinschaftswesen in frei (ich tue was ich will) und unfrei (was ich will und bin, bestimme ich aber gar nicht selbst) vor.

Schon seltsam.

Würden neuere biologische Erkenntnisse bekannter, würde man ein Stück Freiheit gewinnen (weil man sie eh schon hatte, man reklamiert sie nur bewußt für sich). Würde man dagegen das amerikanische Verfassungsgebot der “pursuit of happiness” - auf dem ersten Blick eine herrliche Staatsverpflichtung für das Glück des Einzelnen - als bei widerstrebenden Interessen (wie sie so oft vorkommen) eigentlich zutiefst inhumane Zielvorstellung deklarieren, kämen wir vielleicht wieder näher an das was so pathetisch Brüderlichkeit heißt (mit diesem aber immer im Hinterkopf).





4 Kommentare zu “ Gespaltene Grundsätze”

  1. manuel meint:


    Die Webseite von manuel

    Auch Amöben, Ameisen Stiefmütterchen und sogar Bakterien haben epigenetische Systeme. Wenn wir trotzdem eine Handlungsfreiheit haben, die uns Menschen von diesen Organismen unterscheidet, liegt das nicht an der Epigenetik. Richtig?

    Lies nochmal in der declaration of independence nach. Dort ist pursuit of Happiness kein Gebot, sondern ein Recht. Niemand wird durch die Deklaration gezwungen dieses Recht wahrzunehmen, wenn er meint, es sei besser für ihn, darauf zu verzichten. Die Verfasser waren der Auffassug, das der Wunsch, glücklich zu sein, eine grundlegende menschliche Eigenschaft ist, die der Staat zu respektieren hat. — Ist die Frage, die Dich beschäftigt nicht vielmehr, was aus der Erfahrung, dass das Streben nach Glück auch Leid verursachen kann, für unser Handeln folgt?

    Es gilt, was gefällt; ist das utilitaristische Ethik? Vielleicht. Wenn es jemandem gefällt, das möglichst viele Menschen glücklich sind, dann kann er sich überlegen, wie er handeln muss, um dies zu erreichen. Der grundsätzliche Unterschied zwischen utilitaristischer Ethik und einer Moral des absolut Guten ist, dass der Utilitarismus von den Menschen verlangt, dass sie Gründe für ihr Handeln angeben, die von anderen Menschen hinterfragt werden können. Das macht einen Ausgleich der Interessen möglich. Wenn aber über die Wahrheit verschiedener moralischer Vorschriften, die sich alle auf ein absolut Gutes berufen, unterschiedliche Ansichten bestehen, wie kann dann ein Ausgleich hergestellt werden?

    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. :)

  2. Ralf meint:


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    Die Handlungsfreiheit liegt nicht nur an der Epigenetik, aber auch (ohne eine solche gäbe es keine Freiheit, sie alleine reicht aber nicht aus). Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen (diese Begabung wird unterschiedlich gelebt) und daher zur Selbstreflexion und ergo Freiheit potentiell fähig. Dabei entwickelt er sich als Mensch und nicht zum Menschen.

    Daß die “pursiut of happiness” eine Recht ist, habe ich damals in den USA als Schüler eifrig gelernt (Staatskundeunterricht, fast jedes Amendment haben wir durchgenommen, das Wahlsystem etc.). Doch es geht mir um die Durchsetzbarkeit dieses Rechts, denn es ist interessanterweise ein US-Grundrecht, welches das gleiche Grundrecht des anderen verletzen kann (und nicht selten auch tut - und ohne Durchsetzbarkeit ist ein Recht sinnfrei). Wer kann dann noch davon sprechen, daß diese Grundrecht allen zukommt? Ist es dann faktisch nicht bloß das Recht des Stärkeren?

    Der Utilitarismus ist ebenso ein Ausfluß des Rechts des Stärkeren. Ohne eine allgemein verbindliche(!) Ordnung des Guten ist auch hier das “wie es mir gefällt” für den Schwachen absolut nicht durchsetzbar. Der Utilitarismus ist nicht auf Interessensausgleich angelegt, eher auf ein “wenn jeder an sich denkt, wird an alle gedacht”. Nur kann der Schwache so viel an sich denken, wie er will, der Starke oktroyiert seinen Willen, sein “An-sich-denken” einfach auf. Weil es ihm nützt, utilitaristisch einwandfrei.

  3. manuel meint:


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    Ich finde es interessant, dass Du einerseits die Bestimmung durch Gene als determinierend verstehst, während Du andererseits in der Bestimmung durch die Umwelt eine notwendige Bedingung für Freiheit erkennst. Beides sind jedoch externe Determinanten unseres subjektiven Selbst. Oder nicht?

    Letztendlich spielt das für dich aber keine Rolle. Denn du sagst, wir seien frei durch unsere Vernunft, die uns gegeben sei. Die Betonung lässt darauf schließen: von Jemandem gegeben. Wenn wir aber frei sind qua metaphysischem Schöpfungsakt, warum suchst du dann noch Erklärungen in der Physik?

    Du scheinst dem Missverständnis aufzusitzen, dass es Aufgabe des Staates sei, für jeden Bürger das Recht auf Glück zu verwirklichen. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Die Grundrechte verpflichten den Staat, sich herauszuhalten und seinen Bürgern nicht vorzuschreiben, ob und auf welche Weise sie ein glückliches Leben anstreben.

    Jedes Recht hat da seine Grenzen, wo es das Recht eines Anderen beeinträchtigt. Das ist aber kein guter Grund dafür, auf alle Rechte zu verzichten. Oder willst du argumentieren, dass man das Recht auf Freiheit abschaffen solle, weil Rosa Luxemburg mit ihrem Spruch recht hatte? Die ganze Idee der Grundrechte basiert darauf, dass ich zunächst einmal den Anderen diese Rechte gewähren muss, wenn ich sie selbst in Anspruch nehmen will. Wenn diese grundlegende Übereinkunft nicht bestünde, müssten wir die declaration oder das Grundgesetz den Flammen übergeben und unser Leben einer erdrückenden Diktatur der Tugend- und Gesinnungswächter überlassen. (Ich für meinen Teil vertraue lieber auf die Übereinkunft.)

    Du vertraust Deinen Mitmenschen nicht. Das ist schade. Woher nimmst du Deine felsenfeste Überzeugung, alles liefe nach dem Recht des Stärkeren, wenn es nicht durch eine externe Moral anders erzwungen würde? Ich empfinde es gerade anders herum: Die verbindliche Moral ist das Recht des Stärkeren, nämlich desjenigen, der diese Moral für verbindlich erklärt hat. Was aber, wenn ich bei einer wichtigen Frage (nach Einsatz der mir ‘gegebenen‘ Vernunft) zu dem Ergebnis komme, dass ich mich in dieser Frage der verbindlichen Moral widersetzen muss, wenn ich gut handeln will? (Gleiches Thema, mein Blog: A tale of life and atheism)

  4. Ralf meint:


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    Hallo manuel.

    Erst einmal danke für Deinen Beitrag.

    Die Gene sind nicht determinerend, sondern sie bilden die Grenze des einzelnen, stellen das mögliche Potential dar, so wie in der Musik der maximal hörbare Bereich von 20-20.000 Hz eben der Bereich ist, wo Musik stattfinden kann. Das grenzt in gewissem Grad die Freiheit des Musikschaffenden ein, ja, aber beinhaltet dennoch ein großes Maß an Freiheit.

    Ebenso ist die Bestimmung durch die Umwelt keine notwendige Bedingung, sondern ein Zeichen für diese Freiheit, da es nicht so ist, daß man der Umwelt hilflos ausgeliefert ist (bspw. hat man ggf. Möglichkeiten, seine Umwelt im Erwachsenenalter zu wählen - Auswanderung etc. - was dann wiederum Einfluß auf die Epigenetik hat).

    Ich halte uns in der Tat für frei qua Schöpfungsakt. Die Erklärungen suche ich nicht in der Biologie (nicht Physik), sondern ich zeige Anzeichen für diese Freiheit in der Biologie, da selbige häufig noch als streng deterministisch gelehrt wird (insbesondere in Schulen und anderen medialen Bereichen, die nicht gerade up-to-date sind). Diese Freiheit hat natürlich die Grenzen unserer biologischen Natur und zeigt sich innerhalb unserer Natur, da wir nun einmal so sind. Es gibt uns nur natürlich.

    Was die Aufgabe des Staates ist oder nicht, darüber kann man geteilter Meinung sein, je nachdem von welchem Standpunkt man her kommt. Als katholischer Christ sage ich, daß es Ziel des Staatswesens ist, die Freiheit des Einzelnen zu achten und zu gewährleisten und angesichts der gleichen Würde aller eine zu große Ungleichverteilung der Möglichkeiten für die Freiheitsentfaltung zu verhindern. Von Glück rede ich nicht. Es ist dieser Begriff, der in einer Verfassung meines erachtens überhaupt nichts verloren hat, weil er rein emotional nicht meßbar determiniert ist. Ein Grundrecht aber, das nicht wirklich überprüfbar ist, kann keines für alle sein. Ich spreche nicht von allen Rechten (wie kommst Du darauf?)

    Was meinst Du mit “ich vertraue meinen Mitmenschen nicht”? Was vertraue ich nicht? Diese Aussage ist viel zu pauschal und - jenseits vom persönlichen Urteil über einen Menschen, den Du nicht kennst - auch falsch. Ich traue der Mehrheit allerdings nicht zu, nur durch das bloße Mehrheit-Sein, zu determinieren, was gut und schlecht ist. Das stimmt. Das Gute und das Schlechte können ebensowenig wie das Wahre und Unwahre mehrheitsabhängig sein.

    (Und zum Beitrag deines Blogs: ich finde D’Souza eher schwach, habe bei Youtube mal eine Debatte zwischen ihm und Peter Singer gesehen - sie reden elegant aneinander vorbei und mir war schon nach 5 Minuten klar, auf welcher Welle D’Souza schwimmt, egal was der andere sagt)


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