Als ich letzte Woche mal wieder abendlichen Notdienst in der hiesigen Zentralen Notfallpraxis hatte, erzählte mir eine Frau als bloße Information, die auf den ersten Blick nichts mit ihren Beschwerden zu tun hatten, von einer in Kürze geplanten Abtreibung (wenige Tage danach), sie war in der siebten Woche schwanger.
Wenn ich so etwas höre, geht mir immer ein Stich durch die Seele.
Gleichzeitig war sie nicht bei mir, um darüber zu reden, sondern um ihre Beschwerden gelindert zu bekommen.
Nachdem wir den Anlaß des Arztbesuches beackert hatten, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und es half mir der Hl. Geist - das meine ich ernst, denn ich war nachher nicht in der Lage genau zu sagen, wie ich das Gespräch begann - den richtigen Ton zu treffen und als persönliche Äußerung anzumerken, daß ich die Wahl auf eine Abtreibung immer als sehr tragisch ansehe. Dieser Rollenwechsel muß wohl bedacht werden, denn die Erwartungen an einen Arzt sind sehr unterschiedlich, in einer Notfallpraxis kennt man die Leute faktisch gar nicht, da kann viel in die Hose gehen und die urärztliche Aufgabe des Versuches des Helfens kann schnell scheitern.
Aber, wie gesagt, es gelang mit Gottes Hilfe und es entwickelte sich ein kurzes Gespräch, das die ganze Tragweite hervorbrachte. Diese Frau - kulturell mit islamischem Hintergrund - war sich vollkommen bewußt, was sie zu tun gedachte. Sie war alleinerziehende Mutter dreier Kinder, hatte seit wenigen Monaten einen neuen Freund, war von diesem schwanger - und hatte enorme Angst, daß es auch diesmal scheitern könnte und sie dann mit vier Kindern alleine wäre.
(Unberechtigt ist diese Angst nicht, verstehen kann ich sehr viele Frauen, doch gutheißen kann ich es dennoch nicht.)
Also, sie wußte, daß sie ein Kind töten wolle, das hat sie so gesagt, da gab es keine Ausflüchte. Und nein, daß “jemand anderes in Frage käme, statt ihrer das Kind großzuziehen” war für sie keine Alternative (hier wird mein Verständnis weniger und der Versuch der Liebe wächst). Natürlich war es für mich nicht überraschend zu hören, daß die Schwere der Beschwerden erst auftraten, nachdem sie sich zur Abtreibung entschlossen hatte (laut eigener Aussage wohlüberlegt, ihr Gynäkologe wollte ihr direkt eine Abtreibungspille geben, ihr ging das viel zu schnell).
Ich weiß nicht, wo sie sich den “Beratungsschein” geholt hat, zumindest hat man ihr dort auch Hilfe angeboten, wenn sie mit den Folgen der Abtreibung nicht klarkäme. Und sie war auch jetzt nicht offen dafür, von mir noch irgendwelche Adressen aufgeschrieben zu bekommen. Persönlich war ich ziemlich hilflos. Tun konnte ich für das Kind nichts, ohne mich aufzudrängen.
Gerade schon Frauen mit Kindern, die eine Abtreibung planen bzw. durchführen (das sind nach meiner Erinnerung etwa 40% der Abtreibungsfälle hierzulande), wissen ziemlich genau, daß das kein bloßer Zellhaufen ist. Ich vermute, sie sind besonders anfällig für en psychisches Trauma nach der Tat.
Für diese Frau und ihr Kind, wo immer es jetzt auch sein mag, konnte und kann ich nur beten. Beten, daß die Mutter Frieden findet ohne Selbstbetrug, beten, daß das Kind dort in Frieden lebt, wo es jetzt ist.
Manchmal ist Hilflosigkeit, die erste “Fähigkeit”, die ein Arzt (insbesondere der Inneren Medizin) beherrschen muß, echt bescheiden.