Stell Dir vor, jemand kommt vorbei und ruft Dich zu einer Menschenversammlung. Dort steht einer und sagt:
Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Und das ganze auch noch wo den Typen kaum einer kennt, er quasi ein “Ausländer” ist.
Ich meine, ist das irgendwie verlockend? Werbewirksam?
Meine erste Reaktion wäre vermutlich gewesen: tolle Einladung, heute aber lieber nicht. Aber ich höre mich mal um, vielleicht finde ich jemanden, dem diese Aussichten gefallen …
Aber so war es eben. Jesus war mit seinen Jüngern in der Gegend von Cäsarea Philippi, alles andere als jüdisches Kernland, unterwegs und “rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich”. Gerade an dieser Stelle, gerade diese Leute, von denen nicht wenige eben nicht zu den “verlorenen Schafen Israels” gehörten.
Doch womit hat Er gerechnet? Mit einem “toll, mich selbst verleugnen wollte ich schon immer mal?” Jesus hatte zwar die Leute wunderbar gesättigt und einige erstaunliche Heilungen vollbracht, aber hat das ausgereicht als Motivation?
Ich finde es bezeichnend, daß Er so “pastoral unklug” an die Sache ranging. Direkt das volle Programm, keine Schonung, kein Weichspülgang und kein “Abholen, wo die Leute stehen”. Sie sollen zu Ihm kommen und müssen sich dann so etwas anhören. Was vorgemacht hat Er den Leuten nie, keine Wahlversprechen gemacht.
Jesus ist knallhart ehrlich.
Er sagt damit ja nicht, daß man nur mit Selbstverleugnung ein wahrer Jünger wird, sozusagen erst Verleugnung beherrschen, dann kann man Jüngern werden, nein, sondern daß die Jüngerschaft automatischein Selbstverleugnung mit sich bringt, wenn sie den Namen der Nachfolge Christi verdienen will. Jesu Gehorsam gegenüber dem Vater ist da das Modell.
Wollen wir gehorsam sein gegenüber dem Vater? Wäre uns nicht ein verwöhnender Großvater lieber? Wollen wir das über uns ergehen lassen, was alle Väter mit ihren Kindern machen: sie erziehen?
Ich habe eher den Eindruck, daß viele, ich auf jeden Fall fast immer, einen Vater im Himmel bevorzugenwürde, der fast nie so richtig anwesend ist und selten genau hinschaut, mich mein Ding machen läßt und mir dann meine Wünsche erfüllt wenn ich Ihn brauche, weil er ja ein schlechtes Gewissen ob seiner häufigen Abwesenheit hat. So ein Göttlicher Vater wäre schon klasse.
Nur, Er ist eben Abba, mein Papa, zu dem ich eine enge und nahe Beziehung haben kann. Was ich, wenn ich ehrlich bin, auch besser so finde.
Doch das führt eben auch zur Erziehung.
Ist eigentlich jedem Vater und jeder Mutter klar.
Aber auch irgendwie doof anstrengend und kratzt am Ego.
Susann meint:
18. February 2012Die Webseite von Susann
Dies nur nebenbei - ich finde es schade, dass die Bibel keine ausgewogenere Darstellung Gottes als Vater UND MUTTER beinhaltet. Damit gehen wirklich Chancen verloren - ich habe z. B. keine enge Beziehung zu einem Vater und fühle mich von der Idee eines Gottes als “Abba” überhaupt nicht angesprochen. Kann ich mir nicht viel drunter vorstellen, ist mir auch kein Bedürfnis. Das Bild Gottes als MUTTER hingegen bringt etwas in mir zum Klingen .Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein totaler Einzelfall bin.
(Ja, natürlich sind das alles nur Bilder - aber gibt es etwas Mächtigeres als Bilder im Kopf?)
Ralf meint:
20. February 2012Die Webseite von Ralf
Danke für Deinen Kommentar, Susann.
Auch wenn bei meinem Artikel sich inhaltlich nicht viel ändern würde, wenn das Mutter statt Vater stünde, verstehe ich Deinen Ansatz. Dieser wird ja auch von Vertretern einer feminstischen Theologie vertreten.
Es als verlorene Chance zu bezeichnen, suggeriert aber zumindest, daß die Bibel ein ganzheitliches pädagogisches Konzept haben müßte - ein aus meiner Sicht doch sehr anthropozentischer Ansatz. Nicht wir haben zu beurteilen, wie die Bibel besser gewesen wäre, sondern ihre Botschaft hat uns zu korrigieren. Ansonsten, so denke ich, wird es ein “pick and choose”: wir erklären für wichtig, was uns gefällt - ein klassischer Zirkelschluß.
Susann meint:
25. February 2012Die Webseite von Susann
Ja, mir ist im Nachhinein auch aufgefallen, wie sehr mein Post im Widerspruch zum Tenor des Artikels steht - da ging’s ja gerade um “nicht dort abgeholt werden, wo man steht”.