Veröffentlicht am Wednesday, 28. December 2005, 21:13
Eine hochinteressante Gesprächsrunde konnte man am 22.12. und als Wiederholung am 25.12 auf WDR5 hören, ich war zufällig am 25. abends ganz Ohr.
Das Hadern mit Gott (leider nicht im Audioarchiv) und das daraus überhaupt resultierende Gottesbild bzw. die Frage nach Gott selbst wurde thematisiert. Sehr spannend, denn der Eine hat mit dem Plüschgroßvater im Himmel nun wirklich nichts zu tun.
Der auf der Seite vom WDR nicht erwähnte (inkl. Moderator) vierte Gesprächsteilnehmer, der im Rheinland einigermaßen bekannte und von mir gern gehörte Martin Stankowski beschrieb sich selbst als skeptischen Agnostiker (meine Zusammenfassung).
(Nebenbemerkung: Pfarrer Meurer, im Jahr 2002 vollkommen zu Recht erster Träger der Alternativen Ehrenbürgerwürde Kölns, war hier nicht so stark im Gespräch, fand ich)
Als der Moderator das Wort des Kölner Bischofs und Kardinals Joachmi Meisner aufgriff, daß alles von Oben käme und man deshalb auch durchaus mal das “Warum?” nicht verstehen dürfe, griff Herr Stankowski sofort ein und wies dies zurück - der Tsunami bspw. sei eindeutig nicht von “Oben”, sondern von unten aus dem Erdboden gekommen (der Kardinal hatte sich auf diese Katastrophe bezogen), bei so etwas wäre ein Rückgriff auf “Oben” unredlich.
Er hat zwar Recht mit seinem Einwurf, aber eigentlich auch überhaupt nicht, und diese Argumentation, daß naturwissenschaftliche Erklärungen die Frage nach dem Warum lösen könnten, finden sich ja nun wirklich ständig. Gut, es war schon immer eine Schwäche der Menschen, nicht verstandene Folgezustände und -zusammenhänge direkt Gott zuzuschieben. So wurde Gott mit der Zunahme der wissenschaftl. Erkenntnis gefühlt irgendwie immer kleiner. Doch Unrecht hatten sie nicht, sondern erst, wenn sie Ihn aus dem Spiel ließen.
Wenn eine Person erschossen wird und jemand fragt: warum mußte er sterben, so ist die Antwort à la Stankowski: Nun, es kam zu einem akuten Pumpversagen des Herzens, weil ein kleines metallenes Geschoß von außerhalb des Körpers kommend diesen durchdrang und dabei auch Vorder- und Hinterwand des Herzens durchbohrte und zerreißen ließ, was wiederum durch die Vorspannung der Herzwand erklärlich ist. Das Geschoß wurde durch einen Lauf einer Pistole, welche es aufgrund der Sprengkraft von in einer extra Kammer sitzenden…… usw.
Erklärt das die Frage nach dem Warum? Eindeutig ja und eindeutig nein. Es bringt uns der Motivtion des Schützen keinen Schritt näher, sondern es werden Ursache und Folge einfach vertauscht. Interessanterweise findet man ähnliches Vorgehen auch auf der Seite derer, die die Motivation untersuchen - auch sie reduzieren sie auf Transmittertransport und -reaktion über Rezeptoren und lehnen somit so etwas wie ‘Verantwortung’ ab.
Warum Tsunami, warum Erbeben, warum tektonische Platten, warum Schöpfung so wie sie ist. Diese Fragen, denn darauf laufen sie hinaus, darf man stellen, bis ins letzte Détail. Ist es wirklich nur die “bestmögliche Schöpfung”, wie Leibniz meinte? Der Mensch bleibt ab seinem dritten Lebensjahr zeitlebens im “Warum”-Alter (ein ehemals Bekannter von mir aus Köln hat einen Anflug von Warums bei seinen damals kleinen Kindern immer mit dem Ausdruck “wejen dä Hühner” für beendet erklärt). Und dies war bei den vorherigen auch schon so. Stankowskis Antworten sind zu einfach bzw. befriedigen nicht wirklich die Frage.
Hier reißt Odo von Marquard (unter M) die Kernfrage mal an - ich halte die beschrieben philosophische Antwort für falsch, allerdings jede sichere andere auch:
[…] Angesichts dieser und manch anderer Neuerfahrung von Übeln zerbricht die optimistische Leibniz-Lösung der Theodizee, und die Theodizeefrage wird jetzt radikal und verlangt nun nach Radikalbeantwortung der genannten Frage: Wenn die bestmögliche Welt unvermeidlich Übel einschliesst, warum hat Gott das Schaffen dann nicht bleiben lassen?
Als radikale Antwort auf diese radikale Frage entsteht die Geschichtsphilosophie, und diese Antwort lautet: Gott hat das Schaffen bleiben lassen, denn nicht Gott ist der Schöpfer der Welt, sondern - als Schöpfer des Menschenwerks Geschichte - der Mensch. Dadurch scheidet Gott als Angeklagter aus, und es rückt an seine Stelle jetzt der Mensch ein. Die Schöpfung des Menschen - die Geschichte also - ist, im Unterschied zur Schöpfung Gottes, die angeblich gut ist, jene Schöpfung, die gut nicht ist, sondern gut erst - in der Zukunft - sein wird: als fortschrittliche Herbeiführung einer zukünftig heilen Welt.
Das ist - als extreme Autonomiephilosophie, die Gott theodizeemässig von der Schöpferschaft entlastet - eine Theodizee durch einen Atheismus ad maiorem Dei gloriam. Sie ist - sozusagen als umgedrehter physikotheologischer Gottesbeweis - der Schluss von der Güte Gottes auf seine Nichtexistenz: Gott bleibt - angesichts der Übel in der Welt - der gute Gott nur dann, wenn es ihn nicht gibt, oder jedenfalls: wenn Gott der Schöpfer der Welt nicht ist. So entsteht durch die Krise des Optimismus die Geschichtsphilosophie, eine säkularisierte Theodizee: Theodizee gelungen, Gott tot. […]