Bei 40 Grad

“Bei 40 Grad im Schatten ändert sich die Theologie”, so habe ich es mal in einem theologischen Fachartikel aus Indien gelesen. Es bedeutet ja eigentlich nichts anderes, als daß Theologie nicht selten eine Deutung der Erfahrungen der Menschen ist - bestes Beispiel ist die Geschichte des Alten Israel.
Nur kann diese Art von Theologie in katholischem Kontext eben auch in Konflikt mit dem Lehramt stehen, wie es zum Beispiel manche Befreiungstheologien erlebten (es gibt ja nicht nur eine). Bei einer Einschätzung, in so einem Fall einer theologischen, sind ja beide Standpunkte wichtig, die der Ferne und die der Nähe. Kein Maler kann sein Bild gut beurteilen, wenn er immer davorklebt, der Abstand ist entscheidend. Doch beide sehen eben nicht alles.

Sei mir selbst sehe ich ein potentielles Konfliktpotential im medizinischen Bereich, insbesondere im Bereich der Palliativmedizin und der Frage, ob jemand im Fall der Fälle reanimiert werden sollte, ob jedes Leben unter allen Umständen und jederzeit zu jedem Preis wenn nur irgendmöglich verlängert werden muß (so etwas entscheide ich täglich, u. a. auch heute). Meine Antwort ist ein klares Nein zu dem immer und unter allen Umständen, doch kenne ich genug gläubige Menschen, die das anders sehen. Allerdings sehen sie dies anders aus theoretischen Erwägungen, sie kennen nicht die Risiken und häufigen Folgen. Dennoch sind auch sie zu berücksichtigen, denn sie helfen den Menschen “an der Front”, ihre Sichtweise ein wenig zu relativieren. Doch solange diejenigen, die die Entscheidungen fällen, auch zu verantworten haben - und das sind nun einmal wir Ärzte - haben wir auch die Letztentscheidungsgewalt. Mit allen Konsequenzen und seien es juridische.

Deswegen halte ich Medizinethiker, die wenig bis null Kontakt zum Kliniksalltag haben, auch nur für bedingt geeignet. Sie haben einfach keinen Plan vom Zeitmangel, von den Sekundenentscheidungen über Leben und Tod, vom Druck von vielen Seiten, sie reden insbesondere von Sachen, deren Folgen sie letztendlich nicht kennen, haben also faktisch wenig Ahnung. Wer Ethiker ist und selbst mal als Arzt oder im Pflegepersonal gearbeitet hat, der wird auch gleich für voll genommen - Theoretiker helfen uns nicht.

Daher verstehe ich auch das Konfliktpotential in vielen theologischen Bereichen, auch wenn hier die Ebene eine andere ist, aber ich verstehe das menschliche Konfliktpotential. Was will denn jemand, den Mutter Kirche rundum versorgt, einem Armen erzählen, daß “die Befreiungstheologie” (es gibt wie gesagt derer viele, aber es wird ja so gern verallgemeinert) in sich schlecht sei. Was will den jemand, der täglich in seinem eigenen warmen Bett schlafen kann und der über warmes sauberes Wasser verfügt, einem wirklich Armen erzählen über die rechte Theologie?





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