Mit insgesamt rund 900 Seiten sind diese beiden Bände schon vom Umfang her schwere Kost, bin auch noch nicht ganz durch. Doch auch so ist es ein eher anspruchsvolleres Lesen bzw. Verstehen - und da scheitere ich wohl auch mal ab und an. Doch Gewinn habe ich auf jeden Fall aus dieser Lektüre gezogen, und den möchte ich mal kurz anreißen.
1. Klar wurde mir vor allem mal wieder der Reichtum der Hl. Schrift in ihrer Gänze und daß wohl ein kleines Menschenleben wie meines nicht ausreicht, etwas von der Tiefe auch nur ansatzweise hinreichend auszuschöpfen. Dadurch wird aber auch der Spaß an der Bibel nicht weniger, sondern mehr.
2. Daß die Bibel mit ihren beiden Teilen jeweils auf ganz eigene Art Zeugnis von Jesus als dem Messias und Sohn Gottes abgibt, daß beide Teile unverzichtbar sind, zusammengehören in ihrer unbestreitbaren Andersheit.
3. Eines fällt direkt auf, da der Autor Brevard S. Childs schon von Beginn an die Meinungen zahlreicher Exegeten und Theologen kommentiert: es gibt eine Unmenge von Theologenmeinungen, und die Tatsache, daß ein Theologe in seinem Spezialfach etwas sagt, macht es noch lange nicht zur “wissenschaftlichen Wahrheit”. Neuzeitlich sind wir sehr durch den naturwissenschaftlichen Umgang mit dem Begriff der Wissenschaft selbst geprägt, und die da herrschende strikte Kontrolle durch Fachkollegen (peer review) gibt es zwar auch in der Theologie, doch als Geisteswissenschaft hat sie natürlich ein ganz anderes Maß an möglichen Meinungen und Theorien, da es nicht um Nachprüfbarkeit per Experiment geht, sondern um Interpretation. Früher oder später landet man bei so einem manches Mal Meinungs-Touhouwabouhou doch bei einem benötigten Lehramt, zumal es immer um die Wahrheitsfrage in der christlichen Theologie gehen muß (will sie was wert sein) und der ewige Disput nirgendwohin führt, wo Klarheit nötig wäre. Übrigens kritisiert Childs hier die historisch-kritische Methode, da sie von der Methode her die Wahrheitsfrage ausklammern muß und viele Vertreter dieser Methode das aber nicht täten.
4. Das Neue Testament ist das Resultat der schriftlichen Niederlegung der Erfahrung der ersten Christen mit dem Auferstandenen - eine Leugnung der Auferstehung mithilfe der Evangelien ist somit vollkommen hirnrissig. Man kann gleichermaßen die Bundesrepublik Deutschland nicht sinnvollerweise mithilfe des Grundgesetzes leugnen, welches es ohne sie nicht gäbe.
5. Kommt es zum Thema Rechtfertigung, so ist Childs durch und durch Anhänger der Reformation, wie er auch grundsätzlich kaum katholische Exegeten zu Wort kommen läßt. Aber das mindert den Gewinn der Lektüre keineswegs.
Und 6. und für mich am bedeutendsten: ich lese die Bibel nicht so wie Exegeten es anscheinend tun. Ich kann und will sie nicht so lesen. Für mich steht die Geistliche Lesung über der eher nüchternen Art der aktuellen Theologie. Ich bin aber froh, dies auch vertrauensvoll dem wissenschaftlichen Austausch in der Kirche zu überlassen, mit allen in 3. genannten Voraussetzungen. “Bei uns” muß ja nicht jeder alles machen, sondern als Glieder des einen Leibes hat jedeR den je eigenen Job zu tun.