Wenn Projektionen scheitern

Der Altruist ist eine aussterbende Spezies. Denkt man. Denken viele Menschen insbesondere dann, wenn es um die Wahrnehmung des Hausarztes geht. Früher, als alles noch besser war, war der Arzt rund um die Uhr erreichbar, man bekam alles auf Kasse, er hatte richtig Zeit, kam problemlos zu einem nach Hause etc.

Nur: früher bekam er das alles bezahlt. Denn der Mensch - auch der Arzt gehört dazu - war nie mehr oder weniger Altruist als heute. Er ist wie er ist.

Heute bekommt er das alles nicht mehr bezahlt als wenn er wenig Zeit hat (Zuschläge für längere Gespräche sind längst abgeschafft), Hausbesuche sind im Gesamtbudget schon drin (was viele ohne einen Besuch schon erreichen oder überschreiten - also warum für umsonst kommen?), viele Vorsorge-Untersuchungen bezahlen die Kassen nicht mehr (es sei denn der Arzt bescheißt die Kasse mit gelogenen Diagnosen), von Medikamenten ganz zu schweigen (die Rabattverträge zwischen Kasse und Pharmaunternehmen sind übrigens für Arzt und Patient nicht einsehbar!).

Jetzt plant die Bundesregierung, die zuvor geplante bessere Bezahlung für Hausärzte gesetzlich zu verbieten (sie sollen also weiterhin deutlich schlechter verdienen als die Ärzte, die keine Hausbesuche machen, keine Nachtdienste, keine langen Gespräche führen).

Gleichzeitig werden in den regionalen Ärzteblättern immer mehr Anzeigen von Kommunen geschaltet, die händeringend Allgemeinärzte (wie mich) suchen. Immer mehr ältere Ärzte (in den nächsten zehn Jahren erreichen bundesweit 40% der Allgemeinärzte das Rentenalter) finden keinen Praxisnachfolger.

Offensichtlich gibt es da auf Seiten der Regierungskoalition (erstaunlicherweise sehen das die aktuellen Oppositionsparteien anders) einen gewissen Wahrnehmungssplit: Die Hausärzte werden immer weniger, sie wollen ein eigenes Vergütungssystem mit den Kassen aushandeln, dürfen das auch das darf aber nicht mehr kosten als das alte - aber natürlich wollen wir den hausärztlichen Nachwuchs fördern. Hallo?

Früher, so hieß es, konnte man sich als Arzt nur durch Selbstmord vor dem Wohlstand retten.

(Und ich rede nicht von den Gehältern der Krankenkassenvorstände)

Heute darf man als Arzt wohl nicht mehr wohlhabend sein wollen.

Würde ich mich jetzt nur als Allgemeinarzt niederlassen, wäre mein Stundenlohn deutlich niedriger als in meinem jetzigen Job (wenn man durchschnittlich 60h/Wo. als Hausarzt arbeitet, kommt natürlich mehr rum) - warum also sollte ich das tun? Außerdem will ich eigentlich keine regelhafte 60h-Woche haben.

Also, Politik und ihre Wähler - wollt Ihr Hausärzte oder nicht? Sind aber keine besseren oder schlechteren Menschen als Ihr, damit müßt Ihr rechnen …





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