Veröffentlicht am Thursday, 18. February 2016, 22:52
Die Professoren Schockenhoff (den ich als Moraltheologen sehr schätze) und Striet (von dem ich ehrlicherweise noch nichts gelesen habe), werden diesen unbedeutenden Blog kaum lesen. Aber dennoch möchte ich etwas zu ihrer Replik auf die Kritik von Bischof Rudolf Vorderholzer aus Regensburg sagen.
Dabei sehe ich das aus der Brille desjenigen, der sich nicht selten (allein schon aus Gründen der Fortbildung) mit der medizinsichen Wissenschaft und ihrem Betrieb beschäftigt. Auch wenn es sich da um eine naturwissenschaftliche Richtung handelt, vermute ich mal, sind die “gruppendynamischen” Prozesse vergleichbar.
Zuerst zu der Stellungnahme von Prof. Schockenhoff. Einige wichtige Aussagen fielen mir gleich ins Auge:
Ebenso wie in anderen Disziplinen wird auch in der Theologie manches Schrille, Wichtigtuerische und Unsinnige geäußert, das niemand vermisst hätte, wenn es ungesagt geblieben wäre. Doch bedürfen derartige unüberlegte Wortmeldungen keiner Intervention des Magisteriums in den Prozess der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, da sie durch diese selbst korrigiert werden.
Diese Aussage erinnert mich an das Mantra der Marktradikalen - misch Dich nicht ein, der Markt (hier = “die wissenschaftliche Auseinandersetzung”) regelt das von allein - so als gäbe es dort ein Naturgesetz, daß sich die Wahrheit quasi rausmendelt (der Herr Mendel dürfte biologisch Interessierten noch aus der Schulzeit vertraut sein). Das ist natürlich Unsinn. Ebensowenig wie es den von Habermas ja so oft gewünschten und dennoch unerreichten herrschaftsfreien Diskurs gibt - auch und gerade nicht in der Wissenschaft jeglichen Faches - gibt es auch keine von Beweggründen wie Eitelkeit, Anpassung, Angst, Streben nach Anerkennung, Besitzstandswahrung etc. komplett freie Wissenschaftsgruppen. In der Medizin fallen mir gleich einige Beispiele ein, wie schwer es Außenseiter trotz aller Daten hatten. Und in der Geisteswissenschaft gibt es manchmal keine sicheren “Daten”, sondern mehr oder weniger überzeugende Argumentationen.
Es ist ein Erfordernis intellektueller Redlichkeit, dem jeder in der Kirche verpflichtet ist, sich mit unzureichenden Antworten nicht zufriedenzugeben und ungelöste Probleme nicht zu verdrängen. Daher kann es zum Dienst der Theologie an der Glaubensgemeinschaft der Kirche gehören, dass sie sich dem Totschweigen ungelöster Probleme entgegenstellt.
Wer definiert das Problem als solches? Ist etwa die Unmöglichkeit der Frauenordination ein theologiewissenschaftliches Problem oder nicht vielmehr ein sozio-psychologisches? Wäre es nicht die Aufgabe der Theologie, bspw. diese Unmöglichkeit theologisch redlich und verständlich zu erklären - was ja auch manche Theologen tun, die aber natürlich nicht zur Gruppe von Schockenhoff/Striet gehören? Oder ist es nicht Aufgabe der Wissenschaft zu erklären?
Es widerspricht keineswegs der geforderten Loyalität gegenüber dem kirchlichen Lehramt, nach den Gründen zu fragen, warum einzelne die Lebensführung der Gläubigen betreffende Lehrmeinungen (etwa bezüglich der künstlichen Empfängnisregelung, der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften oder der Zulassung Wiederverheirateter zu den Sakramenten) in breiten Kreisen des Volkes Gottes nicht rezipiert werden.
Wie wäre es, wenn man in der Klammer auch die gelebte Nächstenliebe, Verleugnung des Selbst, Ablehnen des Gottes Geld etc. aufführen würde? Auch hier gibt es eine deutlich gelebte Diskrepanz zwischen Lehramt und Gottesvolk. Was heißt das? Soll die Kirche das jetzt gutheißen?
Nun zu Professor Striet:
Wer sich in seinem religiösen Selbsterleben noch nicht darauf beschränkt, einer narzisstischen Wellness-Spiritualität alltägliche Opfer zu bringen, verbindet sein Katholischsein mit sozialem oder auch politischem Engagement und beruft sich auf das Zweite Vatikanische Konzil.
Gerade ist ja auch das Jahr des geweihten Lebens zu Ende gegangen. Ich frage mich, wie Prof. Striet deren Existenzberechtigung, insbesondere der strikt kontemplativen Orden, mit diesem Satz im Hinterkopf so zu beschreiben vermag…
Als Musterbeispiele einer solchen Theologenexistenz werden dann die ehemaligen Theologieprofessoren Joseph Ratzinger und Gottlieb Söhngen, der theologische Ziehvater Ratzingers, genannt. Von Letzterem werde sogar berichtet, er sei zwar aus traditionshistorischen Gründen gegen die Dogmatisierung der Leiblichen Auferstehung Mariens in den Himmel gewesen, habe aber bereits in deren Vorfeld erklärt, er werde sich, falls es dazu komme, der »Weisheit der Kirche« und deren »Glauben« beugen. Denn was sei dagegen die »Weisheit eines kleinen Professors«.
Moralisieren sollte man nicht vorschnell, jede und jeder ist Kind seiner Zeit. Aber Bischof Voderholzer sollte wissen, dass eine solche Gehorsamshaltung dem Zeitgeist der damaligen Zeit völlig entsprach und nichts Besonderes war.
Und diese Haltung sollte bis heute nichts Besonderes unter Katholiken sein. Es mag hierzulande nahezu 80 Mio. Fußballbundestrainer geben (nicht alle interessieren sich ja für Fußball), aber unter den fast 27 Mio. Katholiken hoffentlich nicht fast 27 Mio. Päpste, die über ihr eigenes Wahrheitsgerüst für sich abstimmen. Der Unterschied zwischen, wie es Professor Striet nennt, “Glaubensfreiheit” und Glaubenswillkür ist alles andere als klar in seiner Stellungnahme.
Und nicht zuletzt das folgende Zitat, das auch den gegenüber Prof. Schockenhoff in meine Augen deutlich überheblicheren Ton noch einmal darlegt:
Aber wenn Bischof Voderholzer unmittelbar nachdem er auf die brutale, menschenverachtende Unterdrückung der Religionsfreiheit und anderer in Nordkorea zu sprechen kommt, fragt, warum man sich nicht hierzu geäußert habe, und dann mutmaßt, das Thema Glaubensfreiheit sei wohl auf Fragen wie die der Ehelehre gemünzt, er bezogen auf diese die Forderung »Liberalisierung« wittert und eine solche Liberalisierung als Verhöhnung aller begreift, die wie der heilige Johannes der Täufer und der heilige Thomas Morus »gerade auch für das christliche Ehe-ideal den Märtyrertod auf sich genommen« hätten, dann wünschte ich mir doch eine ruhigere, akademisch gesättigte Unterscheidungsfähigkeit. In der »Tagespost« mögen solche Bezüge überzeugen. In einer Wissensgesellschaft lösen sie Kopfschütteln aus. Agierte die Theologie an Fakultäten im staatlichen Wissenschaftssystem so, würde dies ihr Aus bedeuten.
Es stimmt, Martyrium bis in den Tod und “ruhige akademisch gesättigte [sic!] Unterscheidungsfähigkeit” vertragen sich nicht so gut. Nun ist ja bekanntlich nicht das Blut der akademisch gesättigten Professoren , sondern das der Märtyrer der Samen der Kirche (Tertullian im 2. Jahrhundert). Daher ist das Kopfschütteln durchaus als Kompliment zu werten. Und das Entscheidende für die Bedeutung der Katholischen Theologie ist auch nicht ihre Tätigkeit im “staatlichen Wissenschaftssystem” oder ihr Ansehen darin, denn das ist nichts anderes als Eitelkeit, sondern der Dienst an der Einen Wahrheit, die Person ist.
Peter Winnemöller fragt und schreibt dazu:
Allein die Vorstellung, Wissenschaft könne ein Lehramt ausbilden, muß jedem Wissenschaftstheoretiker einen Schauder des Grusels über die Rücken jagen. Könnte es eine orthodoxe Physik geben? Könnte es ein Lehramt der Wirtschaftswissenschaften geben? Es erscheint unerklärlich, wie ausgerechnet Theologen auf eine solche Idee kommen können. Es zeichnet ein geradezu jämmerliches Bild von Wissenschaftlern, sich nur noch im eigenen Elfenbeinturm hinterfragen lassen zu wollen.
Und genau hier muß ich ihm widersprechen. Es ist sehr gut erklärlich. Genauso erlebe ich wissenschaftliches Leben. Natürlich gibt es eine orthodoxe Physik, wie auch eine orthodoxe Medizin. Die Peer Reviews der bedeutenden Journals entscheiden, was als veröffentlichungswürdig und damit als “neue Erkenntnis” publiziert werden darf und was nicht. Dabei gibt es sehr strenge Reglementarien und auch unausgesprochene Axiome. Als bspw. Stanley Prusiner die Prionen entdeckte, verstieß er gegen das Axiom, daß Strukturinformationen eines biologischen Körpers auch ohne RNA oder DNA übermittelt werden kann - jahrelang war er nicht anerkannter Außenseiter seiner Zunft. Ich habe persönlich Professoren kennengelernt, die selbst nach seinem Nobelpreis der These noch nicht trauten.
Und ich habe in der Medizin auch hervorragende Ärzte kennengelernt, die ihre Behandlungserfolge, die auf unorthodoxen(!) Vorgehensweisen beruhten (auch wenn sie gut zu erklären waren) nicht anständig publizieren konnten, sie wurden ständig abgelehnt.
Doch selbst das ist noch nicht einmal das Hauptproblem. Ich kenne die wichtigsten katholischen theologischen Journals nicht und weiß daher auch nicht, ob überhaupt die dt. Stimme da eine Rolle spielt (natürlich in der Wissenschaftssprache Englisch publiziert). Das Hauptproblem sind nicht die publizierten Arbeiten, sondern der Umstand, daß die Professoren ihre Erkenntnis für “die” Erkenntnis halten - das Problem ist die Lehre! Sie lehren nicht beides gleichwertig und gleichberechtigt und unvoreingenommen: ihre Meinung und die der Kirche, wenn sie davon abweichen. Die Kirche wird als Stimme im dtsprachigen Raum (das ist anderswo ganz anders!) gar nicht mehr als wissenschaftlich relevant wahrgenommen! Es stellt sich hier schon die Frage, inwiefern das System der staatl. katholischen Fakultäten da der Kirche noch einen Dienst tut (denn das sollen sie!). Soweit ich weiß, hat der verstorbene Pariser Erzbischof und Kardinal Lustiger ja genau aufgrund dieser Frage das Theologiestudium für Priesteramtsanwärter auch komplett ans Priesterseminar verfrachtet. Übrigens erntet das Erzbistum Paris jetzt auch Früchte (vielleicht auch deswegen) - auch wenn es dt. Professoren nicht gefallen mag.