Archiv für October, 2004



Mangel

Veröffentlicht am Monday, 25. October 2004, 22:05

Warum gibt es eigentlich so wenig Philosophen von anerkanntem Rang (in Deutschland fällt mir nur Robert Spaemann ein), die eine göttliche Offenbarung nicht von vorneherein ausschließen?
Es mag daran liegen, daß solche eben aufgrund ihrer Minderheitenposition erst gar keine Anerkennung bekommen. Und es mag ebenso daran liegen, daß man meint, mit solch einer Möglichkeit schon von vorneherein die Reichweite der Meinung sehr einschränkt und daher auf die Integration einer Offenbarungsmöglichkeit in das eigene philosophische Arbeiten verzichtet.

Es mag aber auch sein, daß ich mir hier vollkommen irre. Kennt denn noch jemand bedeutende nicht-kirchliche zeitgenössische (internationale?) Philosophen, auf die das obige zutreffen würde?


Einseitig

Veröffentlicht am Monday, 25. October 2004, 20:00

Es gibt ja eigentlich keinen Grund, hier nur theologische Bücher vorzustellen (ja, ich lese auch und sogar mehrheitlich anderes). Und es muß auch nicht immer etwas inhaltlich Gutes sein:

Dieses kleine Büchlein zum Reclam-üblichen Supergünstig-Preis gibt einen guten Überblick über die gängigen Themen der Medizinethik und auch der üblichen Argumentationslinien. Besonders fielen mir zwei Sachen auf, ein davon habe ich schon nebenan erwähnt:

1. es gilt nur das rein rational begründbare Argument - Gefühle zählen nicht, als dürfe man sie bei diesem wirklich existentiellen Thema außen vor lassen!
2. Es gibt anscheinend nur sehr wenige Mediziner, die sich auf diesen Diskurs spezialisiert haben. In diesem Buch schriebt nur ein emeritierter Medizin-Professor und das erste Mal hatte ich das Gefühl, da schreibt jemand, der von der Praxis her weiß, wie die Realität aussieht. Ansonsten sind es Philosophen, die meisten davon glaubensfeindlich und ethisch mehrheitlich auf der Seite, die das Leben nicht so hoch einschätzt, und sie schreiben über aus ihrer Warte oft graue Theorie (obwohl sie sich als Kenner ausgeben…). Doch genau das ist das Gefährliche: diese Nicht-Praktiker haben den größten Einfluß in der politischen Debatte!

Also das Lesen lohnt sich durchaus, zumal man dann merkt, in welche Abgründe die säkulare Ratio allein führen kann - außerdem sind die meisten Beiträge schon über 15 Jahre alt, aber thematisch immer noch aktuell.


Noch einmal

Veröffentlicht am Monday, 25. October 2004, 19:49

Je länger ich darüber nachdenke, desto absurder erscheint mir das anscheinend nicht hinterfragte Axiom der Bio-Ethiker, wonach nur rein rational begründbare Aussagen für eine Auffassung als akzeptabel gelten.

Ich kann zwar verstehen, daß nur solche als möglich für den Diskurs gelten können, denn zu Kommunikation gehört nun einmal das gegenseitige Verstehenkönnen, aber dem Menschen eine Grundkonstitution abzusprechen, wenn es um Entschediungen über Leben und Tod geht, ist doch arg überzogen.


Stirnrunzeln

Veröffentlicht am Sunday, 17. October 2004, 13:07

Dies Domini.

Ähhm, eine Frage: wer hat eigentlich die Lüge/Illusion vom “mündigen Patienten” in die Welt gesetzt?

95% der Patienten in der Aufnahme meines Arbeitsplatzes, ein ganz normales Krankenhaus, sind nicht in der Lage Name, Dosierung, Zeitpunkt der Einnahme und Zweck(!) ihrer gesamten Medikation zu nennen, obwohl sie diese zum Teil jahrelang nehmen. Das geht durch alle Schichten.


San Lucas

Veröffentlicht am Friday, 15. October 2004, 20:54

Ein Jahr durfte ich an der Medizinischen Fakultät der Universidad de Granada in Spanien studieren (naja, ich war eingeschrieben und ging auch immer hin, aber fleißig ist anders…). Eines der ersten Eindrücke dieser Erfahrung war dies: Feiern können sie gut. Und zwar besonders zu Beginn des Studienjahres. Da jede Fakultät in diesem Landstrich einen eigenen Schutzheiligen hat, dürfen die Mediziner natürlich nicht leer ausgehen - und wer könnte es besser sein als der Evangelist Lukas, der der Überlieferung zufolge auch Arzt war?
Nun, rund um den 18.10, dem Fest des Hl. Lukas, wird dick gefeiert. Es gibt einen offiziellen Festakt, der wirklich kaum jemanden interessiert, und die Straßenparty (meistens an einem anderen Tag), die die gesamte Innenstadt lahmlegt. Denn dann gehen alle Medizinstudenten als irgendetwas verkleidet (’99 waren wir Kapuziner, dieses Jahr gehen sie als Neanderthaler) durch die Innenstadt, klappern die einzelnen Fakultäten ab, verursachen Verkehrschaos, alles wohlgeregelt von der Polizei, trinken gut einen und haben jede Menge Spaß.

Falls sich jemand mal fragen sollte, wozu Schutzheilige auch noch gut sein können: wieder ein Grund zu feiern.


Ganz anders

Veröffentlicht am Thursday, 14. October 2004, 23:45

Wenn man diesen Text liest, viel besser noch das Lied hört, ist es zwar traurig, aber nicht unbedingt mitreißend. Doch seitdem ich im Job bin und an meine “Leute” (mehr als bloß Patienten) auf Station denke, wie unfair das Leben manchmal wirklich ist, kann ich es nicht mehr mit ganz trockenen Augen hören…


Einfache Widerlegung

Veröffentlicht am Tuesday, 12. October 2004, 19:56

Es gibt ein auf den ersten Blick sehr einleuchtendes Argument der Befürworter, wenn es um Embryonenforschung und frühe Abtreibung geht: ein großer Prozentsatz an Embryonen wird kurz vor oder nach der Einnistung in die Gebärmutter sowieso unbemerkt abgestoßen (und fällt während der Regelblutung nicht auf), also kann es nicht flasch sein, etwas zu tun, was sowieso massenhaft passiert.

Nun, neben dem wichtigen Einwand, daß ich bisher immer nur (und zwar immer wieder) diese Behauptung, jedoch noch nie einen Quellenbeleg der entsprechenden Studie gelesen habe und ich mich ständig frage, wie das festgestellt wurde, wenn es doch unbemerkt sei (hat man etwa das Blut vieler Frauen über einen langen Zeitraum gesammelt?), gibt es auch noch einen logischen Kurzschluß hier:

Es geht ja gar nicht um das Kollektiv, es geht um den Einzelfall - man darf daher nicht sagen “wie kann etwas falsch sein, was sowieso auf natürlichem Weg ständig passiert?”, sondern einzig folgende Behauptung ist erlaubt: “wie kann etwas falsch sein, was in diesem Fall sonst auf natürlichem Weg passiert wäre?”. Es gilt also nachzuweisen - und letztendlich in jedem einzelnen Fall -, daß dieser Embryo sonst auch gestorben wäre. Denn um den geht es in seinem Fall, keinesfalls um irgendein Kollektiv!

Für den anderen Fall wäre dann eben auch folgendes Szenarium möglich: man stelle sich einen Bergtour mit 12 Mitgliedern vor. Wenn man nun wüßte, daß 6 Menschen von dieser Bergtour aufgrund eines Lawinenabganges (natürliche Ursache) nicht lebend wiederkommen würden - ist es dann erlaubt, einfach schon vorher einige zu töten? Schließlich ist die Hälfte nachher eh tot.

Ja, aber wir wissen nicht genau wer. Es geht eben immer um den Einzelnen.


Subjektiver Eindruck?

Veröffentlicht am Wednesday, 06. October 2004, 22:53

Ich bin natürlich alles andere als ein Experte auf dem Gebiet der Medizinischen Ethik, lese mich gerade bruchstückhaft ein, aber ein erster Eindruck drängt sich auf:

Es scheint mir so, als würde das Gros der ethischen Debatte von den Vertretern eines sehr freizügigen Umganges mit dem Leben anderer (halte man sie nun für Menschen oder nicht) dominiert. Das mag verschiedene Gründe haben: Vertreter konservativerer Ansichten haben zum Teil religiöse Grundlagen in ihrer Entscheidungsfindung, die als nicht vermittelbar abgelehnt werden; manche haben einfach nur ein schlechtes Gefühl bei allzuviel “ist kein Mensch!”, können das aber nicht in Worte fassen und sehen daher subjektiv hilflos zu, wie alles in eine falsche Richtung läuft.

Bei den ganzen ethischen Debatten, zum Teil ja auch in den Medien debattiert, fiel mir bisher auf, daß es anscheinend zwei nicht hinterfragte Axiome gibt:

1. Für eine ethische Entscheidungsfindung dürfen ausschließlich rationale Gründe gelten.
2. Religiöse Gründe sind in einer pluralistischen Gesellschaft nicht mehrheitsfähig und daher a priori auszuschließen.

Zu 1: dies scheint die wenigsten wirklich zu stören, vielleicht aus intellektuellem Hochmut, aber die Frage sollte doch durchaus erlaubt sein, ob solche im wahrsten Sinne des Wortes existentiell wichtigen Fragen nur einen Aspekt des Menschseins, nämlich seine Fähigkeit zum rationalen Denken und Äußern, berühren dürfen. Ist der mindestens ebenso starke Aspekt des Gefühllebens so nebensächlich, als daß er hier als “Argument” nicht auftauchen darf?

Zu 2: eine pluralistische Gesellschaft hat ja nichtsdestotrotz in den meisten Fällen ein Mindestmaß an Wertekonsens, in unseren Land besonders den des Grundgesetzes. Dieser Mindestkonsens kann und darf durchaus auf religiösen Überzeugungen basieren - entscheidend ist nicht, wie der Konsens entstand sondern vielmehr, daß er demokratischen Bedingungen standhält. Ist die überwiegende Mehrheit von einer moralischen Aussage überzeugt, so darf sie durchaus aus religiösen Gründen erfolgt sein und ist dennoch zu respektieren und als ethisch ausreichend anzusehen (auch wenn man selbst die Begründung für falsch hält).
Aber trotz diesen Einwandes ist es dennoch gut möglich, und ich sehe da nur wenig gute Ansätze bisher (aber ich bin ja auch noch ganz am Anfang), auf rein rationellem Weg dem Lebensrelativismus argumentativ die Stirn zu bieten. Beispiele werden folgen.


Variante

Veröffentlicht am Monday, 04. October 2004, 22:09

Mein Franziskus-Fest bestand heute in einer vollen Ambulanz/Notaufnahme, wegen der Warterei genervten Patienten, abgebrochener Visite, kaum Zeit etwas zu essen (geschweige denn etwas warmes), liegengebliebenen Krankenakten mit Diktaten und Überstunden. Okay, ein Stück Kuchen zur Feier des Tages war dabei (schließlich arbeite ich in einem Haus der Franziskanerinnen).

Hl. Franziskus, ich verdanke Dir so viel, bitte für uns!


Zuzug

Veröffentlicht am Sunday, 03. October 2004, 13:06

Dies Domini.

Oh, wie ich gerade hier gelesen habe, bekomme ich evtl. bald prominente Nachbarn.


Jenseits des Grenzwertigen

Veröffentlicht am Saturday, 02. October 2004, 19:57

Ein Jahr meines Lebens, und ein sehr schönes dazu, verbrachte ich in St. Louis, Missouri, in den USA. Daher habe ich zu dieser Stadt noch gewisse emotionale Bindungen. Ein Jahr, das “senior year” der High School, war ich auf dem “Christian Brothers College” und bekam dort eine sehr gute Ausbildung (auch wenn das Interesse für den Glauben da nicht wirklich geweckt wurde - der Reliunterricht war aber cool).

Normalerweise interessiert es mich auch nicht, wenn irgendein Bischof irgendwo in der Welt etwas von sich läßt, was mich kopfschütteln läßt. Doch das hier geht auf keine Kuhhaut mehr. Erzbischof Burke von St. Louis bringt nicht nur eine Wahlempfehlung für seine Gläubigen, sondern stellt auch eindeutig klar, daß die homosexuelle Liebe zwischen zwei Menschen immer und ohne Ausnahme schlimmer (eben “intrinsically” böse) ist als das Töten eines Kindes Gottes (Volltext), denn als solches betrachte ich auch Schwerstverbrecher (ein gewisser Jesus tat das auch):

Some Catholics have suggested that a candidate’s position on the death penalty and war are as important as his or her position on procured abortion and same-sex “marriage.” This, however, is not true. Procured abortion and homosexual acts are intrinsically evil, and, as such, can never be justified in any circumstance. Although war and capital punishment can rarely be justified, they are not intrinsically evil; neither practice includes the direct intention of killing innocent human beings.


Begegnung

Veröffentlicht am Saturday, 02. October 2004, 01:34

Ende Januar findet alljährlich von der Katholischen Ärztearbeit (die Mitgliedschaft und/oder Teilnahme an Veranstaltungen steht auch Nichtmitgliedern offen!) die Jahreskonferenz statt, 2003 war das Thema “Was hat moderne Medizin mit Mystik zu tun?”.

Nicht nur ich denke: alles. Denn Mystik ist alles andere als eine elitäre Gnadengabe, sondern ein sehr verwurzelte alltäglich Glaubenserfahrung. Der Begriff steht zwar auf einem Sockel, doch da gehörte er noch nie hin, die angebliche Feindlichkeit gegenüber Glaubenssätzen und ausschließliche Basiertheit auf persönlichen Erfahrungen ist ebenfalls Unsinn und ihm fremd.

Ich behaupte einmal, daß die vor kurzem von mir gemachte Erfahrung, bei der eine 85jährige im Sterben liegende Patientin voller Angst geradezu reflektorisch nach ihrer “Mama” ruft, eine durchaus mystische war…


Überstunden

Veröffentlicht am Saturday, 02. October 2004, 00:45

(So, nach langer Zeit mal wieder.)

Heute begeht die Kirche das Gedenkfest der Schutzengel. Wahrscheinlich ist das eine der wenigen Lehren, mit der sich die meisten Menschen anfreunden können: daß jeder einen Schutzengel hat.

Ich habe nicht selten das Gefühl, bei mir müssen gleich mehrere im Akkord ran und kloppen Überstunden ohne Ende. Ich hoffe, sie können sich auch mal eine Pause gönnen…

Wann hast Du das letzte Mal Deinem Engel gedankt? Ich bis jetzt so gut wie nie, vielleicht vor Jahren einmal…