Den Nerv getroffen

Ich bin ja Christ. Früher dachte ich, ich sei geborgen bei Gott und im Jenseits gut aufgehoben. Aber ich habe festgestellt, dass ich mich aufgrund dieser Erkenntnis nicht einfach fallen lassen konnte – ich kann das bis heute nicht. Den Gedanken, dass ich sterben muss, kann ich nur ganz schwer aushalten. Ich habe Angst vor dem Sterben – wie jeder. Für mich ist Gott nicht der Erlöser von einem irdischen Übel: Das ist das Dilemma. Das ist das Dilemma unserer ganzen Gesellschaft. Worüber sollen wir denn klagen? Wir haben hier doch alles! Ich selbst finde mein Leben super, möchte meine Zeit sinnvoll nützen, etwas Nützliches, Konkretes schaffen für die, die nach mir kommen. Ich denke viel darüber nach, was sein wird, wenn ich tot bin. Das ist gedanklich nicht zu lösen, was mich teilweise irre und traurig macht. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Gelassenheit bekommen werde: Ich sterbe. Und das ist o.k.

So Christoph Schlingensief in der Wiener Zeitung (Hervorhebung von mir).

Ich denke, er trifft damit den Nerv der Zeit.

“Trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen” heißt es bspw. in dem jahrhundertalten Salve Regina, dem Ruf an die Gottesmutter Maria.

Doch was glauben, wenn es einem gar nicht so schlecht geht? Was hoffen, wenn man das Leben so liebt wie es ist, wenn man glücklich ist, wenn man nirgendwo ein “Tal der Tränen” verspürt? Was hat einem die christliche Hoffnung zu bieten, wenn man wie Schlingensief meint:

So schön wie hier kann‘s im Himmel gar nicht sein!

Ist die christliche Botschaft wirklich für jeden attraktiv, wenn sie auch beinhaltet, daß es eine sichere Gerechtigkeit für alle gibt, nach dem liebenden `Maßstab Gottes?

Größten Respekt habe ich vor Christoph Schlingensief, natürlich ein Medienprofi, der jetzt diese Fähigkeit nutzt, um etwas Wichtiges für Krebskranke zu tun:

Geschockte Patienten
(besonders lesenswert: Patientendoktor Schlingensief berichtet)

Das Schlingensief die Wut artikuliert, halte ich, der als Arzt selber schon Dutzende hat sterben sehen, für sehr wichtig. Und daß es hier nur um die betroffenen Schwerstkranken geht ebenso. Daß er Medizin und Religion außen vor läßt, verstehe ich auch gut.

Es gibt Momente, da sollte man als Christ mal die Schnauze halten und einfach nur zuhören, da sind Ratschläge auch Schläge.





2 Kommentare zu “ Den Nerv getroffen”

  1. Stanislaus meint:


    Die Webseite von Stanislaus

    Komisch, das mit dem “Tal der Tränen” hatte ich just am selben Tag.

  2. Theresia Benedicta meint:


    Die Webseite von Theresia Benedicta

    Schlingensief gehört zu den Menschen, die mich ungemein faszinieren, auch wenn ich in vielen Punkten anderer Meinung bin…

    Wie schwer das Schweigen bisweilen sein kann, habe ich gestern in der Krankenhausseelsorge am eigenen Leib erleben dürfen. Es gibt Dinge, da wäre jedes Wort nur unpassend und schädlich!


Dein Kommentar