Franziskus fühlte sich sehr denen verbunden, die, wie er selbst anfangs, Teil der Laien-Büßerbewegung waren und seinem Vorbild folgen wollten - also die Männer und Frauen, die den späteren Dritten Orden bilden.
Um ihnen mitteilen zu können, wie er dachte, besuchte er sie wenn möglich. Da das - rückwirkend gesehen glücklicherweise - nicht immer ging, schrieb er auch Briefe “an die Gläubigen”.
Während er die Ordensregel des Ersten Ordens (klassischer Orden mit Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam) als etwas schrieb, das an andere gerichtet war - er schreibt hier von “den Brüdern” - so findet sich insbesondere im 2. Brief an die Gläubigen eine viel engere Beziehung zu den Adressaten.
Da Franziskus sich wie alle Christen zu “den Gläubigen” zählte, ist dieser Brief voll von “wir müssen”. Beide Worte sind wichtig: das “wir” drückt aus, daß er einer von den Gläubigen war, daß er an sich den gleichen Anspruch wie an alle Christen stellte (an Ordensleuten setzt er aber explizit ein höheres Maß an, weil sie der Welt entsagt hätten - also mehr Zeit und Kraft für die Hingabe an Gott hätten). Das “müssen” deutet an, daß diese Aufforderungen für ihn keine mögliche Option darstellen, sondern aus der Entscheidung für Christus geradezu logisch erscheinen.
Ein Beispiel aus dem 6. Kapitel des 2. Briefes an die Gläubigen:
32 Wir müssen auch fasten und uns enthalten von Lastern und Sünden (vgl. Sir 3,32) sowie vom Überfluß an Speisen und Trank, und wir müssen katholisch sein.
33 Wir müssen auch häufig die Kirchen aufsuchen und den KIerikern Hochachtung und Ehrfurcht erweisen, nicht allein um ihrer selbst willen - wenn sie Sünder wären - sondern wegen des Amtes und der Verwaltung des heiligsten Leibes und Blutes Christi, den sie auf dem Altare opfern und den sie empfangen und austeilen.
34 Und wir alle sollen fest wissen, daß niemand gerettet werden kann als nur durch die heiligen Worte und das Blut unseres Herrn Jesus Christus, welche die Kleriker sprechen, verkünden und darreichen.
35 Und nur sie allein dürfen diesen Dienst ausüben und niemand sonst.
36 Besonders aber sind die Ordensleute, die der Welt entsagt haben, verpflichtet, noch mehr und Größeres zu tun, aber jenes nicht zu unterlassen (vgl. Lk 11,42).
Es gibt noch deutlich mehr “wir müssen” Sätze, doch ein jeder, der sich mit Franziskus beschäftigt und von seiner Art der Christus-Nachfolge angezogen ist, weiß, daß diese Maßgaben schwierig sind, daß wir oft scheitern, daß auch er selbst, wie er zugibt, nicht immer seinem Ideal treu blieb.
Was bedeutet hier in diesem Zusammenhang das lapidare “und wir müssen katholisch sein”?
Natürlich bedeutet das zuerst einmal, historisch aufgrund der verschiedenen außerkirchlichen Armutsbewegungen zu der damaligen Zeit, daß der Gläubige an sich in der Kirche zu verweilen habe, da nur sie die sicheren Quellen des Heiles, die Sakramente, verwalten könne.
Es bedeutet aber noch weitaus mehr. Es heißt, daß auch der noch so Franziskus-Begeisterte nicht auf die Idee kommen darf, daß sein Verständnis von Christ-Sein mit allem Franziskanischen dazu das Nonplusultra wäre, daß dieser Weg der einzig wahre christliche wäre. Das ist nicht leicht, doch letztlich ist es eine Frage der persönlichen Berufung.
Wozu “die Kirche” berufen ist, vermag der Einzelne nicht so einfach zu beantworten, da sie dem menschlichen Zugriff eigentlich entzogen ist.
Wie “die Kirche” zu sein habe, kann kein Nachfolger Christi in den Fußspuren von Franziskus wirklich sagen. Er kann nur sagen, wie er selbst zu sein hat.
(Auch ich gebe zu, Wünsche habe ich natürlich an die Kirche, diese hier auch mehrfach geäußert).
Doch kein Franziskaner wird ernsthaft behaupten können, daß es für das Ausleben der franziskanischen Berufung in der Kirche nicht ausreichend Raum gäbe. Die Leitplanken der jeweiligen Ordensregel (Erster bis Dritter Orden) sind so weit, daß man es wirklich absichtlich darauf ankommen lassen muß, will man da ständig anstoßen.
stefan meint:
20. November 2009Die Webseite von stefan
Um Franziskus und seine Schriften objektiv - wenn das überhaupt möglich ist - sehen zu können, bedarf es bei diesem Text zumindest eine Korrektur aufgrund seines restlichen Lebensweges. Immerhin waren es die Kleriker, die es nicht zugelassen haben, dass seine erste Regel (vernichtet!) und sein eigentlicher Wunsch nach Minderbrüdern in der Welt wirklich werden liesen. Auch der Begriff des katholisch seins, hatte vor der Reformation wohl einen anderen Stand. Einen lieben Gruß vom kleinen Bruder Stefan
Ralf meint:
21. November 2009Die Webseite von Ralf
Angesichts der vorhandenen Quellen - und nur die kann man zugrunde legen - ist es aus geschichtswissenschaftlicher Sicht reine Spekulation, warum die erste Regel nicht überliefert ist. Auch die Frage nach dem angeblich gescheiterten Franziskus ist höchst umstritten - er selbst hat ja schließlich die ersten Jahre alle Brüder aufgenommen. Er litt sicher unter der Entwicklung, war aber auch gleichzeitig nicht der Meinung, daß er selbst der Herr des Ordens sei. Als Herrn sah er jemand anderen.
Katholischsein war zu seiner Zeit eben in der Kirche sein - Du kennst sicher den Teil der Ordensregel, der besagt, daß die Novizen auf ihren Glauben bezüglich der Sakramente genau geprüft werden sollten. Franziskus ist von der Kirche nicht zu trennen, auch wenn dies bestimmt nicht selten schmerzhaft war. Doch von einem Leben ohne Leid hat nie jemand etwas versprochen, im Gegenteil.
Franziskus eignet sich weder als Zeuge gegen Kleriker noch gegen die Kirche, wie sich die Katholische versteht. Auch Klaras Schriften sind da eindeutig.
Frieden und alles Gute,
Ralf
Janko meint:
28. November 2009Die Webseite von Janko
Franziskus ist schon unmittelbar nach seinem Tod zur “amtskatholischen Wunderwaffe” gemacht worden. Die schnelle Heiligsprechung und die riesige Grabeskirche stehen auch symbolisch dafür, wie sehr die Hierarchen Franziskus und seine Bewegung damals gebraucht haben. Heute denke ich, wissen wir es besser, und brauchen nicht lange darüber diskutieren, dass dieser Franziskus mit großer Sicherheit dort nicht ist: Unter Tonnen von Stein. Er hätte wahrscheinlich dieses ganze Grabesmonument ignoriert oder in einem Anfall von überschäumender Wut eigenhändig versucht, es Stein für Stein abzubauen.
Er wäre natürlich trotzdem katholisch gewesen, denn “katholisch sein” heißt ja gar nicht, immer nur fromm säuselnd durch die Gegend zu laufen und alle lieb zu haben, und das ist es, was ich so sehr an dieser ganzen Franziskus-Geschichte liebe. Dieser Heilige war von Anfang an und ist bis heute einer der größten Stachel im katholischen Fleische, weil er einen Gedanken radikal verfolgt, den man einige Jahrhunderte später wohl “reformatorisch” genannt hätte: Sola scriptura heißt bei Franziskus “das Evangelium beobachten”. Seine Quelle, sein Steinbruch, in dem er sich abarbeitet, ist die Heilige Schrift und damit hält er der Kirche bis heute den Spiegel vor.
Insofern heißt “katholisch sein” aus franziskanischer Perspektive in der Tat vor allem auch: Die Kirche ist da, wo die Gläubigen sind (und nicht die Mitbrüder oder die Kleriker). Er lobt ja gerade nicht die Kleriker als Person, sondern als Amtsträger und hebt damit ihre Funktion für die Kirche hervor. Das entspricht dem, was das Zweiten Vaticanum wieder hervorgehoben hat.
Ich komme deshalb irgendwie nicht ganz zurecht mit dem Ende Deines Beitrags, wo es um die Frage geht, wer denn festlegen dürfe, wie “Kirche zu sein habe” und ob es “in der Kirche ausreichend Raum gibt” für die franziskanische Berufung. Wer bestimmt denn überhaupt, was Kirche ist und wer legt die Grenzen fest? Der Papst? Das Lehramt? Die Amtsträger? Ich habe den Verdacht, dass Franziskus sich sein ganzes Leben lang mehr oder weniger erfolgreich geweigert hat, über das Evangelium hinaus irgendwelche Festlegungen zu akzeptieren, denn die Regeln sind ihm ja mehr abgerungen worden, als dass er darauf gebrannt hätte, seiner Bewegung Grenzen zu setzen. Er wollte vielleicht gar keine Bewegung, sondern einfach nur “katholisch sein” - und das war für ihn identisch mit “evangelisch sein” ;-))
Janko meint:
28. November 2009Die Webseite von Janko
Ach, da möchte ich gleich noch eines anfügen, was mir eigentlich schon nach Deinem Beitrag von vor ein paar Wochen durch Kopf und Bauch geschwirrt ist: Ich bin auch genervt von innerkirchlichen Diskussionen, vor allem von der immer lauter werdenden Schar von Traditionalisten, deren Beiträge generell etwas Ausgrenzendes haben. Die Frage, wer oder was “noch” katholisch ist, interessiert mich persönlich eigentlich nur peripher, aber wenn ich mir dann und wann anhören muss, dass ich beispielsweise, weil ich nicht in allen Punkten mit den Verlautbarungen aus dem Vatikan einverstanden bin, nun auch nicht mehr katholisch sei, stelle ich mir automatisch die Frage, wie denn mein “Katholischsein” zu rechtfertigen sei.
Im Zweiten Brief an die Gläubigen klingt meiner Meinung nach auch so eine Art Rechtfertigungshaltung durch und angesichts der historischen Umstände, in denen dieser Brief entstand, muss das auch nicht verwundern.
Ich sehe in Franziskus jemanden, der das Evangelium und die Sakramente ernst nimmt, der also im besten Sinne “konservativ” ist, weil ihm daran liegt, diese Werte zu bewahren und vor allem zu leben. Leider verstehen heute viele Konservatismus als gleichbedeutend mit Gehorsam und würden die Messe wahrscheinlich auch auf Chinesisch feiern, wenn der Papst es anordnet.
Was Franziskus da in seinem Brief schreibt, darf meiner Meinung nach mit Recht als konservativ verstanden werden, allerdings fordert er im Grunde gar nicht die Gläubigen auf, den Klerikern zu gehorchen, sondern umgekehrt: Er fordert implizit die Kleriker auf, ihren Dienst für die Kirche zu tun, den Dienst, für den sie angetreten sind und für den sie Respekt und Hochachtung verdienen - auch wenn sie Sünder sind!
Insofern habe ich auch Probleme damit, mich auf die vielbeschworene Gesundschrumpfung der Kirche (in Deutschland) zu freuen, wo dann alle “nervenden” Dauerfrustrierten verschwunden sind und nur noch Friede, Freude, Eierkuchen gefeiert wird. Im Evangelium heißt es “hinaus in alle Welt” und nicht hinein in die gemütliche Stube der eigenen Gesinnungsgenossen. Und ich möchte nicht wissen, ob dieser Mensch Franziskus, der am Ende seines Lebens so dauerfrustriert und verzweifelt war, dass er sich von allen Ämtern zurückzog und vielleicht sogar mit dem Gedanken spielte, seinem Leben ein Ende zu setzen (siehe die Gedanken hier), nicht auch zu denen gehört hätte, der einer Gesundschrumpfung - hätte es eine gegeben - zum Opfer gefallen wäre. Franziskus war für mich jemand, der vor allem den Weg des Evangeliums gesucht hat, er hat ihn sich aber nicht von der Kirche vorschreiben lassen, sondern für ihn ist der, der den Weg des Evangeliums geht, ein Teil von Kirche.
Er spricht auch nicht davon, dass das Heil “verwaltet” wird, genausowenig, wie die Armut “verwaltet” werden kann - das Evangelium will gelebt werden und die Frage ist immer wieder neu, was das für Dich, für mich, für uns und für alle Gläubigen eigentlich heißt.
Tut mir leid, dass es länger geworden ist, ich hab’s nicht kürzer gekriegt. Mit diesen Gedanken wünsche ich pax et bonum,
Janko.
Ralf meint:
1. December 2009Die Webseite von Ralf
Hallo Janko (das bezieht sich auf Deinen vorletzten Kommentar).
Danke für Deinen Beitrag.
Ja, natürlich ist man, wenn man wahrhaft katholisch sein will, auch evangelisch im Sinne des Evangelium-befolgen. Das war Franziskus sicher - auch wenn wenn er sich eben wie andere Bußprediger nicht an sola scriptura hielt, sondern an scriptura cum ecclesia. Seine Entscheidung, nicht wie so viele andere damals ihr Ding ohne die Kirche zu leben, war bestimmt nicht einfach nur so gefällt worden.
Die Kirche, ja ein leidiges Thema bei vielen franziskanisch Gesinnten (was ich echt nicht verstehe, aber so ist’s halt - ich habe keinen Konflikt mit ihr, auch nicht im Verständis).
Was der Glaube der Kirche (auch über die eigenen Grenzen) ist, wurde seit jeher auf Konzilen festgelegt - und abstimmungsberechtigt waren immer nur Bischöfe. Genauer gesagt, wurde auf den Konzilen immer festgelegt, wo das Kirchesein des einzelnen aufhört (anathema sit). Wenn also Franz fordert, daß die Novizen bzgl. der Sakramente eingehend geprüft werden sollen, dann, weil er in den Bischöfen nicht nur Verwaltungsangestellte eines Chefs in Rom sah.
Die Kirche ist da, wo der Glaube der Kirche ist, in den Gläubigen - das sind Kleriker ebenso wie Laien, vor Gott sind ja eh alle gleich. Und Franz sagte ja, daß wir nur das seien, was wir vor Gott seien und mehr (und weniger) nicht.
Was Franziskus genau wollte, ob Orden oder nicht, ob Regel oder nicht, darüber streiten sich die Historiker mit wechselnden Mehrheiten seit Jahrzehnten. Das ist aber auch für den einzelnen vollkommen irrelevant - denn was wichtig ist: Franz hat gezeigt, daß ein Leben nach dem Evangelium in der Kirche geht und angenommen wird.
Mehr braucht es nicht.
Ralf meint:
15. December 2009Die Webseite von Ralf
Hallo Janko, diese Antwort behandelt jetzt Deinen letzten Kommentar, den ich versehentlich erst jetzt freigeschaltet habe.
Erst einmal auch hier danke für Deine guten Gedanken, denen ich viel abgewinnen kann.
Auch ich freue mich nicht auf eine Schrumpfung der Kirche - wie könnte ich das auch - aber sie wird kommen, da es eine breite Ablehnung des Evangeliums gibt. Das ist leider so, war vielleicht auch schon früher so. Die persönliche Umkehr war wohl noch nie so richtig en vogue und da geht ein Ablehnen des Evangeliums jetzt viel schmerzfreier als früher, kein sozialer Druck veranlaßt mehr zum Bleiben.
Ich stimme Dir zu, wenn Du meinst, daß für Franziskus in seinem Brief auch eine Aufforderung an die Kleriker steckt, ihren Dienst so auszuführen, wie es ihrer Berufung entspricht. Dieser Dienst für die Kirche ist aber nicht zwangsläufig ein Dienst für die Mehrheit der Kirchenmitglieder. Es ist vor allem der Dienst, den Menschen Gott näher zu bringen, vor allem in den Sakramenten, denn ein sichereres Mittel für das direkte Erfahren der Nähe Gottes haben wir nicht. Er ist vor allem dadurch ein Dienst an den Menschen.
Doch leider - und auch dies ist entweder Folge oder Ursache oder Beiwerk der Schrumpfung der Kirche (ich lege ich da nicht fest) - geht dieses Bewußtsein über die Sakramente immer mehr flöten (man denke nur an die Krankensalbung und die Beichte).
Ja, Du hast auch Recht, daß Franziskus sich das Leben nach dem Evangelium nicht von der Kirche vorschreiben ließ - aber ein Gegeneinander gab es eben auch nicht. Er ließ es sich vom “Herrn Papst” (Testament) bestätigen, mehr nicht. Aber auch nicht weniger, die Rückbindung war ihm wichtig und er legte größten Wert darauf und war sehr harsch gegenüber Abweichlern (für ihn war aber sicher nicht jeder Nachfolger Christi ein Teil der Kirche, ein Modell von “unsichtbarer Kirche” gab es damals nicht. Es hat ihn auch nicht so interessiert außerhalb seiner Bruderschaft).
Letztlich kommt es, auch hier Zustimmung, immer auf das gelebte Evangelium an, auf das Wie und Wo eines jeden von uns. Ein zu starkes Starren auf Franziskus hilft da auch nicht weiter, wir leben in unserer Zeit, er lebte in der seinen.
Wie Er Dich ruft, weißt letztlich nur Du.
Aber, vielleicht sehen wir uns ja im OFS wieder :-)