Kann mir das einer erklären?

Da ich mich gerne mit der Hl. Schrift beschäftige und gleichzeitig als Kind meiner Zeit und aus biographischen Gründen auch immer alles hinterfrage, komme ich nicht umhin, mich auch mal ein wenig mit exegetischen Fragestellungen zu beschäftigen.

Da zudem die Kirchengeschichte und hier insbesondere die alten Kirchenschriftsteller für meinen Glaubensweg wichtig waren, habe ich bislang da auch immer gerne auf sie zurückgegriffen.

Wer sich aber mit Exegese beschäftigen will, auch leider ohne Griechisch zu können, wird früher oder später auf die Themen Verfasserschaft der Schriften, Datum der Abfassung, Ort etc. stoßen.

Dabei fällt mir immer auf, daß die Angaben der frühen Kirche nur bruchstückhaft oder gar nicht für voll genommen werden im theologiewissenschaftlichen Umfeld - und als jemand, der selber über ein historisches Thema promoviert hat, weiß ich nicht warum.

Das klassische Beispiel dafür ist das Evangelium nach Matthäus.

Der Priester Dr. Jörg Sieger hat auf seiner umfangreichen Homepage folgendes dazu veröffentlicht:

Bei der Durchsicht des Textes fällt bereits auf, dass jüdische Gebräuche im Matthäus-Evangelium nicht erläutert werden.
Hebräische Ausdrücke werden nicht ersetzt. Die unbedingte Gültigkeit des Gesetzes wird immer wieder betont.
Auch die rabbinische kasuistische Diskussion wird dargestellt.
Und darüber hinaus wird die jüdische Formelsprache benutzt. Matthäus spricht von [”hæ basileía ton ouranon”], also von der Herrschaft der Himmel, nicht von [”hæ basileía tou theou”], von der Herrschaft Gottes. Er verwendet also die Ausdrücke so, wie sie im jüdischen Umfeld üblich waren.
Daraus kann man folgern, dass der Verfasser mit großer Wahrscheinlichkeit ein Judenchrist war.
Er war darüber hinaus mit Sicherheit in griechisch sprechender Umgebung zu Hause und hat für griechisch sprechende Christen geschrieben. Christen aber, die wohl mehrheitlich jüdischer Herkunft waren.

Solch eine Situation ist aber in Palästina nur sehr schwer vorstellbar. Der Verfasser und seine Gemeinde dürften daher in der jüdischen Diaspora zu suchen sein.

Manche Exegeten wollten aus der Darstellung der Flucht nach Ägypten (Mt 2,13ff), die ja nur das Matthäus-Evangelium schildert, bereits auf eine Abfassung des Textes in Alexandrien schließen. Sie vermuteten, dass diese Begebenheit, die ja in Ägypten spielt, dort als Traditionsgut überliefert wurde und dem Matthäus bekannt geworden sei. Diese Theorie hat aber nicht viele Anhänger gefunden.

Die meisten Forscher vermuten heute, dass der Text in Antiochia oder allgemein in Syrien abgefasst worden sei. Eine wichtige Stütze dieser Theorie ist der Umstand, dass der erste Kirchenvater, der den Text des Matthäus-Evangeliums zitiert und damit deutlich macht, dass er ihn auch kennt, Ignatius von Antiochien ist. Die Existenz des Matthäus-Evangelium ist also erstmals im syrischen Raum belegt.

Ich denke mal, dies stellt immer noch die Mehrheitsmeinung der Exegeten dar.

Später wird noch ein gewisser Papias erwähnt, der als Verfasser einen “Matthaios” ausmachte, somit einen der zwölf Apostel.

Aus obigen Gründen, und weil das Evangelium auf 80-100 n. Chr. als Abfassungszeit gesetzt wird, könne das aber nicht sein.

Wenn man sich aber diesen Bischof Papias (+um 140) genauer anschaut, so hat dieser noch viel mehr geschrieben. Er war der erste, der über die Autorenschaft der Evangelien Auskunft gab. Seine Schriften selbst sind nicht mehr erhalten, der erste Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea, der übrigens keine hohe Meinung von Papias’ Intellekt hatte, zitiert aber einiges daraus.

So habe Papias folgendes geshrieben:

Matthäus hat in hebräischer Sprache die Reden zusammengestellt; ein jeder aber übersetzte dieselben so gut er konnte

(Im Original heiße das bei Papias wohl nicht “in hebräischer Sprache”, sondern “im Dialekt der Hebräer”, was womöglich Aramäisch wäre)

Das heißt, das eigentliche Evangelium von Matthäus kennen wir gar nicht, wir kennen nur eine übersetzte Version ins Griechische, und vom Zeitpunkt der Übersetzung wird auch nichts erzählt.
Zeitgenössische exegetische Schlußfolgerungen (s.o.), daß bspw. der Verfasser (ein Übersetzer wird gar nicht angenommen) in griechischer Umgebung hätte leben müssen, sind somit nur dann erklärbar, wenn man Papias entweder bewußt nicht glaubt (was man rechtfertigen müßte) oder übergeht (was ebenso fragwürdig ist).

Auch der oftmals angenommene Umstand, daß das Markus-Evangelium (Mk) vor Matthäus (Mt) geschrieben wurde, kann man nur verteidigen, wenn man annimmt, daß Papias Unsinn schreibt.
Nun hat aber die Alte Kirche, die stets an der Reihenfolge Matthäus-Markus-Lukas-Johannes festgehalten hat, überhaupt keinen Grund gehabt, den Angaben des Papias zu mißtrauen. Sie werden einfach bloß so dahingesagt, ein größerer Eifer oder ein größeres Ziel außer der nackten Information scheint damit nicht verbunden gewesen zu sein.

Natürlich ist es möglich, daß die Übersetzung des Mt vom Mk beeinflußt worden ist, da wir den Zeitpunkt nicht kennen, was auch die Textübereinstimmung erklären würde. Darüber gibt es eben keine historischen Angaben.

Aber warum man sich so schwer damit tut, den Bischof Papias für voll zu nehmen, wo doch dann einfach alles problemlos ohne Spekulationen paßt, verstehe ich nicht. Vielleicht versteht jemand anders mehr und ich freue mich auf Erklärungen.





5 Kommentare zu “ Kann mir das einer erklären?”

  1. Benedikt meint:


    Die Webseite von Benedikt

    Ja, Ralf, das kann ich komplett nachvollziehen. Wenn man sich mit der Entstehung der Evangelien beschäftigt und den Theorien, die momentan Mainstream, kann man echt an der Intelligenz der Theologen zweifeln. Der archäologische Befund wird schlichtweg ignoriert, und es wird an den alten Theorien festgehalten, als wären sie geoffenbartes Glaubensgut.

    Dabei sind gerade bei Matthäus viele Fragen offen, folgt man der Zweiquellenhypothese. Einiges hast du ja angesprochen. Warum diese jüdischen Bezüge - der Tempel ist doch schon zerstört, folgt man der Theorie?

    Ich denke, dass man das Matthäusevangelium in den judenchristlichen Kontext einordnen muss, um es zu verstehen.

  2. Eugenie Roth meint:


    Die Webseite von Eugenie Roth

    Kennen Sie die Übersetzung von Rösch, die ich hier immer verwende? Im Vorspann zum Mt-Ev. ist hier alles erklärt, eben nach Papias (schon zu lange her, könnte ich jetzt nicht aus dem Gedächtnis wiederholen). Aber um dies jetzt im Computer aufzurufen müsste ich hier großen Kabelsalat veranstalten. Sollten Sie das nicht kennen, bitte melden, dann schicke ich das per eMail. Warum man das heute so nicht glaubt? dazu habe ich auch keine Idee.

  3. Ralf meint:


    Die Webseite von Ralf

    Den Rösch kenne ich nicht, aber dafür das Regensburger Neues Testament, welches mich inhaltlich verglichen mit moderneren Auslegungen bislang immer überzeugt hat.

  4. Pax et bonum » Kann mir das einer erklären? 2. Teil meint:


    Die Webseite von Pax et bonum » Kann mir das einer erklären? 2. Teil

    […] Schon früher hatte ich mal nachgefragt, warum denn Matthäus nicht der Verfasser des gleichnamigen Evangeliums gewesen sein soll. […]

  5. Pax et bonum » Nachträglich verbündet meint:


    Die Webseite von Pax et bonum » Nachträglich verbündet

    […] Letztes Jahr im Juni sprach ich mal die Frage an, warum die zeitgenössische Theologie mehrheitlich meint, der Verfasser des Matthäus-Evangeliums sei nicht der Apostel Matthäus. […]


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