Nicht gelogen, aber getäuscht.

Nach langer Zeit kommt mal wieder was Medizinisches.

Und gleichzeitig ist es auch ein Lehrstück über die Macht, mit Statistiken die Wahrheit zu verschleiern, die eigene Ohnmacht zu kaschieren und das Enttäuschen von medizinischen Laien verhindern zu wollen, damit man selbst weiterhin als potent dasteht.

Vorgestern abend war ich auf einer sehr interessanten Fortbildungsrunde und Diskussion der Ärztekammer Nordrhein im Ärztehaus hier in Düsseldorf über den Sinn und Unsinn von Krebsscreeningmaßnahmen, also dem Mammographie-Screening, dem Darmkrebsscreening, dem Hautkrebsscreening und dem Prostatakrebsscreening als bekannteste Themenfelder.

Diese Screeningmaßnahmen - und das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - haben dis heute keinen eindeutigen Beleg liefern können, daß durch das Screening überhaupt deutlich weniger Menschen an den Erkrankungen sterben, auf die man untersucht! Dies gilt insbesondere für die ersten drei, die alle von den Krankenkassen aufgrund der politischen Verpflichtung durch medizinische Laien (Politiker) großzügig bezahlt werden und für die Ärzte ein gutes zusätzliches Einkommen darstellen.

Desweiteren ist klar geworden, daß viel zu wenig auf die Schadensbelanz von Screeningfolgen eingegangen wird (der Referent über das Prostatascreening, urologischer Chefarzt an einer Uniklinik, erwähnte die Gefahr der Impotenz und Inkontinenz durch die OP mit keinem Wort, geschweige denn Zahlen dazu - die man natürlich trotzdem finden kann…)

Als Grundvoraussetzung muss man wissen, daß nicht nur nicht jeder Krebs tödlich ist, sondern daß es auch eine Vielzahl an Krebsen gibt, die überhaupt auch an dem Ort und der Stelle wo sie auftreten, nicht mehr weiter wachsen und keine Probleme verursachen. Leider ist dies im Einzelfall nicht immer gut zu prognostizieren - und das ist das statistische Hauptproblem und der Haupttrumpf des Screenings - aber summasummarum werden viele Menschen behandelt, die gar keine Behandlung benötigt hätten - und somit werden aus Gesunden Patienten. Dazu gibt es natürlich auch die falsch-positiven Befunde (man findet was, wo nichts ist) und die falsch-negativen (man übersieht was), was bei jedem(!) Test welcher Art auch immer vorkommt, menschlich oder automatisch, ist egal, gibt es immer in einem nicht unwichtigen Prozentsatz. Das ist eh doof, aber besonders schlimm ist das Krankmachen von Menschen, die wirkliche Befunde haben, die sie selber aber nie im Lebensverlauf einschränken würden. Diese werden durch das Screening zu behandlungsbedürftigen Patienten gemacht.

Diese Erkenntnis führte während der zum Teil hitzigen Diskussion zu Ausrufen wie “dann können wir ja gleich gar nichts tun” - was den unbändigen Wunsch nach ärztlichem Handeln dokumentiert. Warum ist es für Ärzte einzugestehen: wir wissen es nicht, Tests bringen nach derzeitigem Stand der Dinge nichts? Der Grund ist ganz einfach: nicht die Beratung wird finanziell honoriert, sondern die Untersuchung …

(Ein anderes gutes Beispiel ist der Hörsturz: mittlerweile geben selbst die HNO-Ärzte in ihrer Leitlinie zu, daß es keine(!) Therapie gibt, die eine Wirksamkeit verglichen mit einer Scheintherapie (Placebo) gezeigt hat - dennoch meinen sie, etwas tun ist besser als nichts tun - bloß eben mit gleichem Effekt …)

Auch für Laien ist es traurig zu hören, daß der Arzt auf die Frage: bin ich gesund? höchstens rein spekulativ antworten kann (wenn er es überhaupt bestimmen kann)…

Ich bleibe mal bei einem Beispiel der verschiedenen Screenings: dem Hautkrebsscreening. Erstaunlicherweise hat der Referent - ich war echt enttäuscht, von einem Epidemiologen hätte ich anderes erwartet - mit keinem Wort erwähnt, wieviele Menschen durch das Screening weniger an Hautkrebs sterben. Er fand das Screening nämlich gut.
Nur: seit der Einführung 2008, wieviele sind denn weniger daran gestorben?

Na?

Genau: keiner!

Im Gegenteil, die Rate derer, die daran sterben, ist gestiegen (dazu weiter unten Zahlen und Quellen)!

Ich beschränke mich mal auf den Hautkrebs, der am gefährlichsten, weil tödlich ist, dem sogenannten Melanom.

2007 wurde er (Quelle: http://www.rki.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Melanom/melanom_node.html, dort aufs Datenblatt klicken) bei rund 7600 Menschen das erste Mal diagnostiziert, im gleichen Jahr starben daran (das sind auch sicher andere als diese 7600, weil die Überlebensrate glücklicherweise meistens länger als ein Jahr nach Diagnosestellung ist) rund 1360, das entspricht einer Anzahl an Neudiagnosen auf 100.000 Einwohner umgerechnet (die sogenannte Inzidenz) von 18,9 (also jährlich 19 Fälle pro 100.000 Einwohner) und einer Sterberate (die spezifische Mortalität) von 3,4 (also “3 einhalb” Tote durch ein Melanom pro 100.000 Einwohner).

Als Vergleich: im gleichen Jahr lag die Mortalität an einem Herzinfarkt hierzulande bei rund 70, also das 20fache …

Warum nehme ich 2007? un, 2008 wurde das Screening eingeführt, die Zahl der Erstdiagnosen sprang stark an (klar, man findet auch vermehrt Frühstadien und solche, die sich nie verschlimmert hätten oder vielleicht wieder verschwunden wären, gibt’s eben auch), und zwar stieg die Inzidenz von 18,9 auf 22,9 im jahr 2008, das sind in Menschen ziemlich genau 1600 Personen mehr pro Jahr, Tendenz steigend.

Haben diese 1600 Personen was davon? Sinkt Ihr Sterberisiko, an einem Melanom zu versterben, schließlich findet man ja vermehrt Frühstadien? Wie erwähnt, leider nein.

Bis zum Jahr 2010, neuere Zahlen habe ich nicht gefunden, ist die Mortalität gestiegen, von 3,4 auf 3,9 (von total 1360 auf 1568). Der bisherige Effekt des Screenings ist also Null. Halt!, werden manche einwenden, nicht Null.

Nein, nicht ganz. Aufgrund der höheren Rate an erkannten Frühstadien steigt natürlich die immer angegebene sogenannte 5-Jahres-Überlebensrate (also die Rate derer, die 5 Jahre nach der Erstdiagnose noch leben). Aber wenn die nicht steigen würde durch ein Screening, wäre es überhaupt kein Screening. Das bedeutet aber erst einmal nichts weiter - vielleicht sterben die nur später bzw. das Screening hat ihnen das Wissen um ihren Tod früher “geschenkt”. Und dann sind noch all die mit dabei als Statistikverschönerung, die eh nie daran gestorben wären, weil das Melanom immer unbedeutend geblieben wäre - allein diese “Patienten”gruppe, die durch ein Screening erst das Boot der “Gesunden” verlassen haben und ins ärztlich gesteuerte Bott der “Patienten” gehievt wurden, hätten die Sterberate (also die Mortalität) senken müssen. Doch nicht einmal das ist bislang der Fall.

Eigentlich ist das alles enttäuschend. Und auch für mich als Arzt echt frustrierend. Aber wenn’s so ist, dann muß man das so hinnehmen, bis man anderes belegen kann. Das ist der Sinn von belegbarer Medizin, der Evidenz basierten Medizin.

Ent-Täuschung kann oft hilfreich sein. Sich Täuschungen hinzugeben war noch nie wirklich gesund.

Dazu noch eine wichtige Sache: wie konnten die Befürworter des Screenings generell denn ihre Position positiv darstellen? Ganz einfach, über die Angabe des Relativen Risikos und die Senkung desselben durch eine Maßnahme (nicht eindeutig belegt eben, aber schlecht belegt ist besser als gut widerlegt für solche Referenten …).

Was ist das Relative Risiko? Also: wenn 5 Leute an einem Krebs sterben und wegen des Screenings nur noch 4, dann ist das eine Risikosenkung, man nennt das Risikoreduktion, von 20%. 5 wären 100%, 4 sind davon nur noch 80%, also 20% weniger.

Und warum “relativ”?

Nun, wenn das normale Auftreten dieses Krebstodes nur 5 von 100.000.000 Menschen betrifft, und nach einem Screening dieser 100.000.000 Menschen nur noch 4, dann ist das auch einen Relative Risikoreduktion (RRR) von 20%. In absoluten Zahlen aber (also bezogen auf die ganzen 100 Millionen, die gescreent werden mußten) ist es eine Reduktion von 0,000001% (oder eine 0 weniger, weiß ich nicht genau :-) ). Diese absoluten Zahlen wurden aber nie genannt - warum wohl?

Selbst bei hypothetischen 50% RRR für den Hautkrebs würde das im Jahr 2010 eine absolute Risikoreduktion von 0,000009% bedeuten. 2010 lag das durchschnittliche Risiko eines Hautkrebstodes für jeden der 81,757 Mill. Menschen in Deutschland bei 0,000019% (das sind 1568 von allen in Deutschland). 50% weniger, also die Hälfte, wäre ganze 0,0000095%.

Ob da ein Screening lohnt?





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