Veröffentlicht am Friday, 20. July 2007, 18:37
Der Dialog zwischen der Orthodoxie und der Katholischen Kirche verläuft ja oft alles andere als leicht - und nicht selten fragen sich interessierte Laien, woran’s denn jetzt nun schon wieder hakt, auf welchen Schlips sich denn jetzt schon wieder jemand getreten fühlt.
Daß sich die Wahrnehmung der Orthodoxie in der Frage nach der Kirche und vor allem nach der Art und Weise, wie man die ökumenische Bewegung generell betreibt, geradezu grundsätzlich von der des Westens unterscheidet, schreibt der orthodoxe deutsche Erzpriester Peter Sonntag in einer hervorragenden Schrift hier (pfd-Dokument). Einmal mehr aus der Sicht der Diaspora, deswegen so wertvoll und ausgeglichen. Es gilt nicht zu vergessen, daß der Ökumenische Patriarch Athenagoras, für die katholisch-orthodoxe Annäherung so wichtig, vor seiner Wahl zu diesem Amt Erzbischof der Orthodoxen Kirche von Amerika war, ebenso in der Diaspora.
Nun, einige wieder längere Auszüge aus diesem wirklich super Text:
Wenn wir einen Wunsch haben, dann den, bei Ihnen Gehör zu finden, als Kirche unter Ihnen sein zu dürfen, d. h. im wesentlichen: die Göttliche Liturgie, die Eucharistie zu feiern, die alles zusammenfasst und in sich enthält. Die wahre Theologie ist immer demütig, anspruchslos, kenotisch.
Sie ist die Frucht der Liebe und der Hingabe.
Gewiss, seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hört man im Westen auch ganz andere Töne der Orthodoxie, aggressive Töne, Kakophonien …
Die Orthodoxie ist sicherlich ein schwieriger Partner in einer westlichen Ökumene, die konzeptionell abendländisch ist. Auch die Vorstellung einer Konvergenz durch theologische Diskurse ist sehr „westlich“. Im orthodoxen Verständnis lässt sich die Theologie nicht von der Existenz lösen. Theologie ist in unserer Sicht eine durch und durch „empirische“ Wissenschaft, keine Theorie. Sie ist strikt an den Erfahrungsraum der Kirche gebunden. Das gottmenschliche Handeln der Kirche, das Christus in der Zeit gegenwärtig setzt, geht der theologischen Reflexion uneinholbar voraus und ist absolut normativ. Die Figur des akademischen Theologen ist ein westliches Konstrukt, das in der Orthodoxie nicht heimisch geworden ist. Der große Patrologe und Liturgiewissenschaftler Cyprian Kern bezeichnete das Analogion, das Lektoren-und Sängerpult der orthodoxen Kirche, als die wahre Kathedra seiner Theologie und der Theologie überhaupt. Die Kirche ist für uns immer etwas Vorgegebenes, unserer Verfügung in jeder Hinsicht absolut Entzogenes. Die Kirche reinigt uns durch ihre Tradition von der Subjektivität und weitet das Herz und den Geist zur Überwindung des sündigen Individualismus und zur Wahrnehmung jenes einzigartigen Leibes Christi, in dem „die Fülle der Gottheit leibhaft gegenwärtig“ ist. Der Theologe im orthodoxen Verständnis verfügt über gar nichts, sondern ist von der Kirche verfügt. Die Kirche ist sowohl Subjekt als auch Objekt der theologischen Erkenntnis und Sprache. Die Kirche kann für ihn niemals Gegenstand eines wie auch immer gearteten Kompromisses sein. Was für uns Orthodoxe zur Disposition steht, ist darum nicht die Kirche an sich und die mit ihr identische, immer aktual verstandene Tradition, sondern nur die Wahrnehmung der Kirche und der Tradition, die durch unsere Schwachheit und zwangsläufige perspektivische Beschränktheit stets der Korrektur und der Erweiterung bedürftig ist. Darum ist für uns der ökumenische Dialog ein Ort, um Zeugnis zu geben und gemeinsam mit allen das Fest des Glaubens zu feiern. Mit anderen Worten: Wenn der Auferstandene unser Herz und unser Bewusstsein so erfüllt, dass die Erkenntnis des Auferstandenen jede andere Erkenntnis und Bewegung des Geistes in sich umfasst und wir in diesem Sinne mit einem Herzen und einem Mund sagen können „Scimus Christum surexisse“, dann ist die Einheit vollendet, wir könnten auch sagen „ent-deckt“.
Der doxologische Charakter der orthodoxen Theologie erfordert sicher von den westlichen Theologen einen mentalen Wandel, der eine nicht geringe Zumutung darstellt. So wie auch umgekehrt die Orthodoxie eine Sprache finden muss, die die Kirchen des Westens verstehen und die gleichwohl das Eigene angemessen zur Sprache bringt. Die Vorübungen dazu sind nicht immer geglückt. Die Unionskonzile und der Dialog der Reformatoren mit dem Ökumenischen Patriarchen Jeremias II. sind Beispiele für eine eher misslungene Kommunikation. Die theologischen Annäherungen des XX. Jahrhunderts sind verheißungsvoller, weil die Orthodoxie in der Diaspora die westlichen Aporien nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern als Lebenswirklichkeit erfährt, insofern sie selbst ein Teil dieser Wirklichkeit geworden ist.
„Graeca non leguntur“ bestimmt noch immer weitgehend den westlichen Wahrnehmungshorizont. Samuel Huntington hat die Ost und West trennende Demarkationslinie noch einmal mit dicken Strichen nachgezeichnet und auf törichte Weise Islam und Orthodoxie wiederum in einen gemeinsamen „orientalischen“ Topf geworfen.
Orthodoxie – das sind die langen Bärte, die sentimentalen russischen Kirchengesänge, Weihrauch, Ikonen, Kerzen, etwas fürs Gemüt. Dass die Orthodoxen immer noch existieren, verdanken sie eigentlich ihrer erstaunlichen Ignoranz. Wenn sie erst einmal Luthers Rechtfertigungslehre, Kant, Hegel, Schelling, Heidegger, Wittgenstein, Habermas und Adorno rezipiert haben, wird sich das Thema Orthodoxie und altorientalische Kirchen von selbst erledigt haben.
Andererseits muss man sehen, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch in der Orthodoxie viele gibt, die sich durch einen Eklat und ein spektakuläres Zerwürfnis in der ökumenischen Bewegung auf angenehme Weise bestätigt sähen. Die Verwüstungen des „real existierenden“ Sozialismus in vielen traditionell orthodoxen Ländern und der darauffolgende aggressive Einbruch „westlicher“ Präferenzen in Verbindung mit dem ideologischen und materiellen Kollaps des alten Systems provozierten alte Reflexe und ein ganz starkes Bedürfnis nach Affirmation und Identität. Nation und Kirche bieten sich an, das ideologische Vakuum zu füllen. Die öffentlich zelebrierte ökumenische Eintracht aus den Zeiten des kalten Krieges war auf einmal dahin. In Russland, dem Baltikum und in der Ukraine entbrennt ein Machtkampf unter Kirchen und Jurisdiktionen. Reviere werden abgesteckt. Die GUS-Staaten, also das Territorium der ehemaligen Sowjetunion, wird zum „kanonischen Territorium“ des Moskauer Patriarchates erklärt. Thron und Altar rücken auf eine Weise zusammen, als hätte es das XX. Jahrhundert nie gegeben. Der Zar und seine Familie werden nicht nur rehabilitiert, sondern kanonisiert. Sogar Rasputin gerät in den Ruch der Heiligkeit. Die „Mutterkirchen“ treten auf den Plan und verlangen die nationale Regruppierung der orthodoxen Diaspora in Westeuropa und, wenn möglich, weltweit. Die „Vatikanisierung“ der Orthodoxie, ein treffendes Wort von Christos Yannaras, ist in vollem Gange. Wohin man blickt: Regression und Restauration … Die Orthodoxie schlingert. Die Vorbereitungen zur vierten und letzten vorgesehenen präkonziliaren Konferenz in der Annäherung an das avisierte große panorthodoxe Konzil sind ausgesetzt. Bereits getroffene Vereinbarungen über ein einvernehmliches Handeln der Jurisdiktionen in der sog. orthodoxen Diaspora werden de facto dispensiert. Zentrifugale und hegemoniale Kräfte widerstreiten einander. Weite Teile der orthodoxen Kirche weigern sich, sich die Last des XX. Jahrhunderts aufzubürden. Synoden schmücken sich gern mit dem Blut der Neumärtyrer, aber die Frage nach der Verantwortung der Kirche wird tabuisiert und nur von ganz wenigen Unerschrockenen wirklich gestellt. Dieselben Hierarchen, die vor 1989 von der Freiheit der Kirche im Sozialismus geschwärmt haben, sprechen heute von der Märtyrerkirche. Und diejenigen, die früher vor laufenden Kameras westliche Prälaten umarmten, halten heute flammende Reden über die Dekadenz und die Verkommenheit des Westens …
Einen abschließenden Punkt sehe ich aber anders als er, bin da hoffnungsvoller (ob er überhaupt die Ratzinger-Formel kennt, s.u.?):
Die Reformation, Rom und die Orthodoxie haben, und das ist die Quelle der Uneinigkeit, Kirchenverständnisse, die sich im Prinzip gegenseitig ausschließen. Darum wird eine wie auch immer beschaffene Einheit dieser drei niemals eine ekklesiale Einheit sein können. Der äquivoke Gebrauch des Wortes Kirche für jede dieser drei Konfessionen erweckt die Illusion einer Identität, die es gar nicht gibt.