Veröffentlicht am Tuesday, 11. November 2003, 23:42
Vielleicht irre ich mich ja, aber es drängt sich mir der Eindruck auf, dass das Phämomen der Political Correctness (PC) im öffentlichen wie privaten Leben immer mehr Einzug hält. Allein in den letzten Tagen gibt es dafür ein paar Beispiele: die Auftragskündigung an die Degussa AG für den weiteren Bau des Berliner Mahnmals für die Opfer des Holocaust, die Klage gegen den Kölner Erzbischof wegen angeblich beleidigender Äußerungen gegen Homosexuelle (die Originalrede kann man hier als pdf nachlesen) - naja, gerade Köln ist angesichts beider Parteien im Streit auch ein Pulverfass - oder zuletzt jetzt auch die allseits bekannte Affäre Hohmann (mal ganz abgesehen von den bewussten Falschmeldungen der Medien über seine Rede). Er soll ja jetzt aus Fraktion und Partei ausgeschlossen werden.
Voltaire wird der Spruch “Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Äußersten dafür kämpfen, daß sie es sagen dürfen.” zugeschrieben. Er war zwar alles andere als ein Freund der Kirche bzw. des Christentums (”Die Inquisation ist bekanntlich eine bewunderungswürdige und wahrhaft christliche Erfindung, um den Papst und die Mönche mächtiger zu machen und ein ganzes Reich zur Heuchelei zu zwingen.”), hatte aber guten Kontakt zu Kapuzinern. Sein Kampf für die Meinungsfreiheit unterstützt bis heute eine franz. Organisation. Übrigens war er recht ausgleichend: “Der Atheismus und der Fanatismus sind zwei Ungeheuer, die die Gesellschaft verschlingen und zerreißen können.” Was würde er heute zu PC sagen?
Im privaten Bereich kann ja mal jemand versuchen, das Wort “Neger” für (PC) Afroamerikaner oder (PC) Schwarzafrikaner zu verwenden, welches allerdings von Martin Luther King in seiner berühmten Rede, die später den Titel “I have a dream” bekam, noch mit Stolz verwendet wurde. Tja, so ändern sich die Zeiten anscheinend.
Im allgemeinen wird dann ein “Währet den Anfängen!” ausgerufen, sicher auch aus berechtigter Sorge. Doch es liegt dieser Verbreitung von PC meines Erachtens der Fehlschluss zugrunde, man könne Gedanken verbieten, indem man die angeblich (siehe “Neger” respektive “negro”, was man ja in den USA auch nicht mehr sagen darf) diese Gedanken transportierenden Begriffe geächtet werden. Worte sind etwas Kostbares, gleichsam die Gefäße der Gedanken. Doch sind sie nicht determiniert, das heißt an Gedanken gebunden. Es liegt stets an der Intention des Verfassers.
Wieviel Gegenmeinung und auch evtl. Unwahrheit halten wir, hält jeder einzelne überhaupt aus? Sind wir solche Sensibelchen, dass ein Stinkefinger mit mehreren 1000 Euro juristisch geahndet werden muss, dass eine Lüge (wie die Holocaust-Leugnung) bestraft werden muss (warum dann nicht alle Lügen, unter denen Menschen leiden?), dass eine öffentliche Äußerung gegen eine gesellschaftliche Gruppe gleich zu Anzeigen führen muss? Entwickeln wir uns zu Mainstream-Spießern? Ist es denn so schwierig zu sagen: “Phht, dann findet er/sie mich halt Sch…., na und?”.
Ich verstehe das nicht. Sicher muss man sich nicht immer alles gefallen lassen, aber besonders im nicht direkten Konfliktfall, also bei allgemeinen Äußerungen, wäre ein wenig mehr Rückgrat zu wünschen, ohne das Laufen zu Mami (in dem Fall Vater Staat), damit diese (dieser) ihren autoritativen (juristischen) Segen für das weinerliche “Der da hat mich … genannt” gibt. Gleiches denke ich übrigens auch über religiöse Befindlichkeiten. Besonders da sollten die Christen angesichts des himmlischen Beistandes ein wenig mehr Gelassenheit über die irdischen Spielchen zeigen.
Aber wer weiß, vielleicht denkt ja nun der eine oder andere Leser (huch, jetzt habe ich doch glatt, bestimmt aus reiner Boshaftigkeit, die -Innen vergessen), auch von Voltaire: “Je öfter eine Dummheit wiederholt wird, desto mehr bekommt sie den Anschein der Klugheit.”